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Medizin

DMEA 2022: Apps auf Rezept

Anne Krampe-Scheidler

DMEA 2022: Apps auf Rezept
© vegefox.com - stock.adobe.com
Die DMEA, Fachmesse und Kongress rund um die Digitalisierung im Gesundheitswesen, fand im April in Berlin erstmals wieder in Präsenz statt. Der Regierungswechsel bot eine gute Gelegenheit, eine Zwischenbilanz zu ziehen: Wo stehen wir bei der Umsetzung des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG), dem Einsatz von Apps auf Rezept und bei der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS)? Mit Spannung wurde die Rede des neuen Gesundheitsministers erwartet.
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Lauterbach sieht sich selbst als „Digitalisierungsminister“

Karl Lauterbach erklärte mit etwas bemüht wirkenden Anknüpfungspunkten aus seiner persönlichen und politischen Biografie, er verstehe sich auch als Digitalisierungsminister. Ganz oben auf seiner Agenda: ein Strategiegesetz für die Digitalisierung des Gesundheitswesens; allerdings wird dies erst nach der Sommerpause angegangen. Parallel soll die digitale Infrastruktur weiter ausgebaut werden. Der Minister bezeichnete die digitale Identität als Grundvoraussetzung für die bessere Nutzung der bereits vorhandenen Anwendungen. Neben der Videosprechstunde, dem elektronischen Rezept, der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Registern gehöre dazu als „Kernanwendung“ die elektronische Patientenakte (ePA).

Update KHZG: Bürokratie gefährdet Zeitplan

Als einen „Senkrechtstart in die Digitalisierung“ lobte Lauterbach das KHZG. Welche Dynamik das 4,3 Milliarden Euro schwere Investitionsprogramm bei den Anbieter:innen digitaler Lösungen ausgelöst hat, war in der Industrieausstellung unübersehbar; manch einer sprach von Goldgräberstimmung. Allerdings wird die Euphorie aktuell ausgebremst: Mehr als 6.000 Anträge wurden eingereicht, sie können aber nicht schnell genug bearbeitet werden. Wie Cornelia Yzer, Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Health Care und Life Science, berichtete, fokussiert sich das Gros der Anträge auf 3 der 11 Fördertatbestände: Patient:innenportale, digitale Pflege- und Behandlungsdokumentation sowie digitales Medikationsmanagement. Entsprechende Angebote der Industrie waren auch in den Messehallen omnipräsent.

Start des KHZG in kleineren Häusern erschwert

Da die Krankenhäuser auf sehr unterschiedlichen Ausgangsniveaus starten, sind sie von der schleppenden Bearbeitung ungleich stark betroffen. Große Häuser, in denen bereits eine Digitalstrategie vorhanden ist, haben einen Vorsprung. Anke Diehl, Universitätsmedizin Essen, empfahl Krankenhäusern mit wenig Digitalisierungserfahrung, „neu und innovativ zu denken“. Es gehe im ersten Schritt darum, zu verstehen, welche Möglichkeiten sich dadurch überhaupt bieten. Mina Baumgarten vom Vivantes Netzwerk für Gesundheit mahnte, die Fördermittel sinnvoll einzusetzen. „Will ich etwas kaufen, weil es gerade bezahlt wird? Oder will ich etwas kaufen, was wirklich nachhaltig Prozesse für die Patient:innen und Mitarbeiter:innen positiv beeinflusst?“

Umsetzung des KHZG bis 2025 unrealistisch

Angesichts der schleppenden Antragsbearbeitung steht der Zeithorizont infrage. Das Gesetz sieht einen Abschlag für Projekte vor, die bis zum 1. Januar 2025 nicht abgeschlossen sind. Dafür sei die Zeit viel zu knapp, betonte Diehl: „Bis wir die Vergabe haben, bis wir uns entschieden haben, bis die Systeme technisch installiert sind und die Prozesse laufen – das wird in 3 Jahren nicht zu schaffen sein.“ In kleineren Krankenhäusern bestehe die Sorge, dass sie im Bearbeitungsprozess zurückgestellt und damit zeitlich noch weiter abgehängt würden, sagte Alexander Beyer von der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Christian von Klitzing, Sana Kliniken, wies darauf hin, dass sich die Verzögerung auch auf die Hersteller auswirke, er sprach von Lieferzeiten ab Mitte 2023.

Regelfinanzierung des KHZG noch nicht geklärt

Bei aller Freude über die Förderung – für Baumgarten ein „kleiner Schluck aus der Pulle“ – stellen sich viele der Akteur:innen auch die Frage, wie es danach weitergeht. Alle Referent:innen waren sich einig, dass die Digitalisierung in den Krankenhäusern verstetigt werden muss – und damit auch die Finanzierung. Beyer betonte, dass es nicht um eine Fristverschiebung, sondern um eine Regelfinanzierung gehe.

Exportschlager DiGA: Unbeliebt in Deutschland

Was nützen vielversprechende digitale Anwendungen wie Notfalldatenmanagement, Medikationsplan, Arztbrief, Rezept und Patientenakte, wenn sie nicht in der Versorgung ankommen? Auch Digitale Anwendungen (DiGA) fassen in Deutschland nur schwer Fuß, obwohl sie als Exportschlager gelten. Woran das liegt, beleuchtete Konrad Obermann, Forschungsleiter bei der Stiftung Gesundheit. Er stellte Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von 30.000 ambulant tätigen Ärzt:innen vor, die Ende 2021 durchgeführt wurde.

Warum sind DiGA bei Niedergelassenen unbeliebt?

Auch wenn die Verschreibung der „Apps auf Rezept“ im Vergleich zum Vorjahr von 1% auf 14% zugenommen haben, ist das Gesamtergebnis ernüchternd. Hauptgründe für eine anhaltende Skepsis der Niedergelassenen sind Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit (71%), der medizinischen Wirksamkeit (47%) und der Kosten (37%). Dass Apps medizinisch hilfreich sein können, glauben nur noch 66% statt im Vorjahr 72%. Auch das Potenzial für die personalisierte Medizin, die (telemedizinische) Versorgung oder eine verbesserte Adhärenz werden inzwischen stärker bezweifelt. Immerhin aber sind die Ärzt:innen etwas eher bereit, DiGA zu verschreiben, wenn Patient:innen es wünschen (59% vs. 57%). 37% sind der Meinung, dass mit DiGA Versichertengelder verschwendet werden, 9% empfinden sie sogar als Bedrohung – wohl auch, weil sie befürchten, weniger Leistungen abrechnen zu können.
 
 

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© fizkes – stock.adobe.com

Niedergelassene Ärzt:innen Zweifeln an Nutzen medizinischer Apps gegen psychische Erkrankungen

Wo sehen die Befragten den Einsatz von Apps als sinnvoll an? Mit über 80% rangieren Tagebuchfunktionen, Ernährungsberatung, die Aufzeichnung von Vitalparametern, die Verhaltenskontrolle und sportliche Aktivitäten ganz vorn. Am wenigsten zugetraut wird ihnen bei Suchtproblemen, Depressionen und Suizidgefährdung. Dies ist insofern überraschend, als gerade psychische Erkrankungen zu Anfang als besonders lohnende Einsatzgebiete angesehen worden waren.

Ablehnung der DiGA – Ein Generationenproblem?

Obermann konnte der Umfrage trotzdem auch Positives abgewinnen. Ärzt:innen übernähmen im Sinne ihrer Patient:innen und der Kosten Verantwortung, sagte er in seinem Fazit. Essenziell seien gut konzipierte Studien, um den Nutzen von DiGA verlässlich nachzuweisen. Um das Vertrauen weiter zu stärken, empfahl er, den Ärzt:innen Testversionen zur Verfügung zu stellen. Er gab sich zuversichtlich, dass DiGA sich weiter etablieren werden. „Die Ärzteschaft ist demografisch gesehen älter und eher zurückhaltend bei der Digitalisierung. Es ist auch eine Frage des Generationswechsels.“

Vor welchen Herausforderungen steht der Medikationsplan?

Auch der Medikationsplan (MP) lässt in der Breite auf sich warten. Obwohl Patient:innen einen Anspruch darauf haben, wird er nicht eingefordert, und auch die Software für den Check der AMTS ist in den ärztlichen Praxen nicht flächendeckend vorhanden. Was der MP überhaupt leisten kann und an welchen Stellen es klemmt, war Gegenstand einer Paneldiskussion.

Ältere Patient:innen werden beim Medikationsplan leicht vergessen

Nicht das Format sei entscheidend, sondern der Inhalt, betonte Martin Schulz von der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, die eine Pilotuntersuchung zur Akzeptanz und Praktikabilität eines MP in der Praxis (PRIMA) durchgeführt hat. „Was wir brauchen, ist eine vollständige und aktuelle Übersicht – ob auf Papier, elektronisch oder auf der elektronischen Gesundheitskarte, ist egal“, betonte er. Er mahnte, vor allem die älteren, multimorbiden Patient:innen nicht zu vergessen. Sie machen den größten Anteil an chronisch Kranken aus – jedoch war jeder Fünfte unter den 65- bis 74-Jährigen noch nie im Internet. „Wir müssen auch für diese Menschen weiterhin ein Angebot haben“, forderte Schulz.

Medikationsplan sollte digital und in print zur Verfügung stehen

Siiri Doka von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe bestätigte dies. Aber auch in den Arztpraxen laufe es „noch nicht rund“, sagte sie. Wünschenswert wäre, dass die Ärzt:innen stärker auf individuelle Bedürfnisse eingehen. „Es gibt Patient:innen, die brauchen den Medikationsplan ausgedruckt und andere digital.“

Zusammenarbeit zwischen Praxen und Apotheken bei Medikationsplan entscheidend

Viele Faktoren erschweren es, den Überblick über die Gesamtmedikation zu behalten. „Wenn der Patient die Arztpraxis verlässt, ist der Medikationsplan schon veraltet“, sagte Schulz. „80% der Medikationpläne sind nicht vollständig, der Patient hat immer mindestens ein Medikament mehr im Köcher.“ Dazu gehören unter anderem OTC-Präparate. Ein weiteres Problem: Die Patient:innen nehmen selbst Änderungen am MP vor. Hinzu komme, dass viele ihn nicht verstehen. Auch Lieferengpässen wie aktuell bei Tamoxifen seien schwer zu handhaben, da die Wirkstoffe unter anderen Handelsnamen importiert werden müssen. Schulz forderte, Ärzt:innen und Apotheker:innen gemeinsam in die Pflicht zu nehmen, um die AMTS zu gewährleisten. „Das Modellprojekt ARNIM zeigt, dass es geht.“

Verschiedene Versionen des Medikationsplans erschweren Einheitlichkeit

Technisch mangelt es beim elektronischen MP noch an der Inoperabilität zwischen den einzelnen Komponenten eRezept, ePA und Notfalldatensatz und damit auch zwischen der Arztpraxis, der Apotheke und dem Krankenhaus. Bisher existieren keine einheitlichen Standards zur Befüllung. Matthias Meierhofer vom Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) berichtete von unterschiedlichen Medikamentenkatalogen, verschiedenen Bezeichnungen und Freitextfeldern. „All diese Daten weichen voneinander ab und sind daher nicht austauschbar.“ Er kritisierte zudem, dass die niedergelassenen Ärzt:innen derzeit nicht verpflichtet sind, einen MP auszustellen. In den Krankenhäusern muss die Funktionalität bis 2025 implementiert sein.

Authentifizierungsprozess bei ePA für Patient:innen nicht nutzerfreundlich gestaltet

Auch auf der Patient:innenseite gibt es noch erhebliche Barrieren, wie Doka am Beispiel der ePA deutlich machte. „Der Weg zu ePA ist derart kompliziert, dass selbst digital erfahrene Menschen damit Schwierigkeiten haben – vor allem mit der Authentifizierung“, kritisierte sie. „Solche Frustrationserlebnisse führen dazu, dass man das Thema ein Stück weit abhakt und lieber die Wege geht, die man kennt“.

Quelle: DMEA – Digital Medical Expertise & Applications; Berlin, 26. bis 28.4.2022


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