Journal Onkologie
Hämatologie
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MPN sind seltene Erkrankungen mit einer jährlichen Inzidenz von etwa 1-2 pro 100.000 Einwohner. Die meisten Patient:innen sind bei Diagnosestellung über 60 Jahre alt, prinzipiell kann die Erkrankung jedoch in jedem Lebensalter auftreten.

Die WHO-Kriterien 2022 definieren für jede MPN-Unterform spezifische diagnostische Haupt- und Nebenkriterien, die Morphologie des Knochenmarks, molekulargenetische Veränderungen und Laborwerte berücksichtigen. Zentraler Bestandteil sind der Nachweis klonaler Mutationen (z. B. JAK2, CALR, MPL) sowie typische histopathologische Veränderungen im Knochenmark. Besonders bei der primären Myelofibrose wird seit 2022 zwischen einer präfibrotischen und einer fibrotischen Phase unterschieden, was prognostisch und therapeutisch relevant ist [2, 3].

Formen der MPN (WHO 2022 Klassifikation)

Philadelphia-Chromosom-negative klassische MPN

Philadelphia-Chromosom-positive MPN

Chronisch myeloische Leukämie (CML, BCR-ABL1-positiv)

Zugrundeliegende molekulare Veränderungen und Tumorbiologie

Die meisten Philadelphia-Chromosom-negativen MPN weisen somatische Mutationen in den Genen JAK2, CALR oder MPL auf. Diese führen zu einer konstitutiven Aktivierung von Signalwegen, die Zellproliferation und Überlebensvorteile der betroffenen Zellen vermitteln: JAK2 V617F-Mutation (bei ca. 95% der PV, 50-60% der ET und PMF), CALR-Mutationen (häufig bei JAK2-negativen ET und PMF)sowie MPL-Mutationen (ca. 5-10% bei ET und PMF). Darüber hinaus existieren „Triple-negative“ MPN ohne diese Mutationen sowie weitere Mutationen (z.B. ASXL1, EZH2, SRSF2, IDH1/2), die v.a. für Prognose und Therapieentscheidung relevant sind.

Diagnostik

Die Diagnose der MPN erfolgt anhand der WHO-Kriterien (2022) und beinhaltet:

  • Anamnese und körperliche Untersuchung (z.B. Splenomegalie)

  • Labor (BB, Hb, Thrombozyten, Leukozyten, LDH, Erythropoietin-Spiegel)

  • Knochenmarkbiopsie zur Beurteilung der Morphologie

  • Molekulargenetik: Testung auf JAK2, CALR, MPL und ggf. erweiterte Mutationsanalysen

  • Bildgebung (Sonographie, ggf. MRT/CT) bei Verdacht auf Splenomegalie, Thrombosen

Symptomatik

Die Symptomatik entwickelt sich oft schleichend. Zu den häufigsten Beschwerden zählen Müdigkeit, Leistungsminderung, Schwindel, Kopfschmerzen, Visusstörunge, Mikrozirkulationsstörungen (z.B. Erythromelalgie), Pruritus (v.a. bei PV), Oberbauchbeschwerden durch Splenomegalie. Außerdem können auftrten: Thrombosen atypischer Lokalisation (z.B. Budd-Chiari-Syndrom), Blutungsneigung, B-Symptomatik (Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Fieber), Portale Hypertension.

Therapie

Die Therapie richtet sich nach der jeweiligen MPN-Form, dem Risikoprofil und dem klinischen Verlauf.

Polycythaemia vera (PV)

Zielhämatokrit <45%, Aderlass, ASS 100 mg/d. Bei Hochrisiko: zytoreduktive Therapie (Hydroxyurea, IFN-alpha, Ruxolitinib)

Essentielle Thrombozythämie (ET)

ASS 100 mg/d (bei niedrigem Blutungsrisiko). Bei Hochrisiko: Hydroxyurea, IFN-alpha, Anagrelid

Primäre Myelofibrose (PMF)

Symptomkontrolle (z.B. bei Splenomegalie: Ruxolitinib, Fedratinib). Allogene Stammzelltransplantation bei Hochrisikopatienten

Weitere Optionen

Splenektomie (selten), Experimentelle Therapien (z.B. weitere JAK-Inhibitoren, Kombinationstherapien), Supportive Therapie (Transfusionen, Erythropoetin, Behandlung von Begleitinfektionen). Die Heilung ist aktuell nur durch eine allogene Stammzelltransplantation möglich, die aufgrund ihrer Risiken jedoch nur bei ausgewählten Patient:innen durchgeführt wird.

 

Literatur:

(1)

Onkopedia-Leitlinie „Myeloproliferative Neoplasien (MPN) (früher: Chronische Myeloproliferative Erkrankungen (CMPE))“

(2)

Khoury JD, Solary E, Abla O, et al.: The 5th edition of the World Health Organization Classification of Haematolymphoid Tumours: Myeloid and Histiocytic/Dendritic Neoplasms. Leukemia 36:1703-1719, 2022. DOI:10.1038/s41375-022-01613-1

(3)

Arber DA, Orazi A, Hasserjian RP, et al.: International Consensus Classification of Myeloid Neoplasms and Acute Leukemias: integrating morphologic, clinical, and genomic data. Blood 140:1200-1228, 2022. DOI:10.1182/blood.2022015850

MPN sind seltene Blutkrebserkrankungen, bei denen das Knochenmark zu viele Blutzellen produziert.

Beim Philadelphia-Chromosom handelt es sich um eine spezielle genetische Veränderung: Zwei Chromosomen (Nr. 9 und 22) tauschen Teile ihrer Erbinformation aus. Dabei entsteht ein neues, krankhaftes Gen — das sogenannte BCR-ABL1-Fusionsgen. Dieses Gen produziert ein Eiweiß (eine sogenannte Tyrosinkinase), das die Zellen im Knochenmark dazu bringt, sich unkontrolliert zu teilen. Diese Veränderung findet man fast immer bei der chronischen myeloischen Leukämie (CML), aber normalerweise nicht bei anderen MPN-Formen.

Meist durch genetische Mutationen (z.B. JAK2, CALR, MPL), die das Zellwachstum dauerhaft aktivieren.

Häufig sind Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, Hautjucken, Bauchschmerzen (vergrößerte Milz) und Blutgerinnsel.

Durch Blutuntersuchungen, Knochenmarkbiopsie und genetische Tests.

Nur selten, durch eine Stammzelltransplantation; viele Patienten können aber gut langfristig behandelt werden mit z.B. Aderlass, ASS, Hydroxyurea, Interferon-alpha und JAK-Inhibitoren