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Akute lymphatische Leukämie (ALL)

Dr. rer. nat. med. habil. Eva Gottfried

Akute lymphatische Leukämie (ALL)
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Die akute lymphatische Leukämie (ALL) ist eine bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems. Bei dieser vermehren sich massiv unreife lymphatische Zellen, sogenannte Blasten, die sich im Blut und Knochenmark sowie verschienden Organen ansammeln. Hierdurch kommt es zu einem Mangel an gesunden Blutzellen, wie weißen Blutzellen (Leukozyten), roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten). Das schnelle Voranschreiten einer akuten Leukämie führt zu einem raschen Leistungsabfall der Patienten, weshalb eine schnelle Diagnose und Therapie erforderlich ist. Zur Behandlung stehen neben Chemotherapie auch zielgerichtete Therapien zur Verfügung. Unbehandelt führt die Erkrankung in der Regel innerhalb weniger Monate zum Tod.
 
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Welche Symptome treten bei einer ALL auf?

Die Erkrankung wird häufig bei Menschen diagnostiziert, die kurz zuvor noch scheinbar gesund waren. Viele Betroffene klagen über Leistungsabfall und unklare Symptome wie
 
  • andauernde Abgeschlagenheit
  • Blutarmut (Anämie) mit blasser Haut
  • Schwindel
  • Atemnot (Dyspnoe) und Herzrasen (Tachykardie)
  • Infektneigung und Fieber
  • Lymphknotenvergrößerung
  • Milzvergrößerung (Splenomegalie)
  • Blutungsneigung (blaue Flecken) und Petechien (punkt- oder stecknadelgroße Blutungen in der Haut)
Die Symptome variieren stark von Patient zu Patient. Außerdem gilt es zu beachten, dass einige der Symptome auch bei harmloseren Erkrankungen auftreten und nicht unbedingt auf eine Krebserkrankung zurückzuführen sind. Trotzdem sollten die Beschwerden von einem Arzt abgeklärt werden. Wie bei jeder Krebserkrankung gilt auch bei lymphatischen Leukämien, dass eine frühzeitige Diagnose die Möglichkeiten der Behandlung verbessern kann.
 
 

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Wie wird eine ALL vom Arzt festgestellt?

Jährlich wird bei etwas mehr als 1 von 100.000 Menschen in Deutschland eine ALL diagnostiziert, am häufigsten bei Kindern unter 5 Jahren (5,3 / 100.000) und bei Menschen über 80 Jahren (2,3/100.000). Bei Kindern und Jugendlichen stellt sie die häufigste Form einer Leukämie dar und macht etwa ein Fünftel (22%) aller Krebserkrankungen bei dieser Patientengruppe aus.

Zu den ersten Untersuchungen bei Verdacht zählen:
 
  • körperliche Untersuchung
  • Blutbild, Differentialblutbild
  • Diagnostik von Gerinnung und Urin
  • Ausschluss von Hepatitis-B, Hepatitis-C und HIV-Infektion
  • Echokardiogramm (EKG) zur Herzuntersuchung
Bei bestehendem Verdacht können weitere Untersuchungen nötig sein, wie
 

Welche verschiedenen lymphatischen Leukämien gibt es?

Lymphatische Leukämien treten als akute Leukämien mit sehr raschem Verlauf und als chronische Leukämien mit langsamem Verlauf auf. Es gibt eine große Zahl verschiedener akuter Leukämien, die sich in Krankheitsverlauf und Prognose, d.h. Heilungsaussichten, unterscheiden und nicht immer klar abgrenzbar sind. Auch akute Leukämien von Erwachsenen und Kindern werden unterschieden. Gemeinsam ist allen, dass es sich um bösartige Veränderungen sogenannter unreifer Vorläuferzellen der Lymphozyten‎ handelt, die zu den weißen Blutzellen zählen. Die Veränderungen führen dazu, dass sich unreife Blasten massiv vermehren und nicht nur in Blut und Knochenmark, Lymphknoten und Milz ansammeln, sondern auch in Organen außerhalb des blutbildenden Systems, wie Gehirn, Hoden oder Knochen. Weil die gesunden Körperzellen hierdurch verdrängt werden, sind nicht nur die weißen Blutkörperchen des Immunsystems, sondern auch die roten Blutkörperchen und die Blutplättchen betroffen.
 
 

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Was bedeutet B-ALL und T-ALL?

Die akute lymphatische Leukämie unterscheidet man primär nach ihren Ausgangszellen:
 
  • B-ALL – die  Leukämiezellen gehen von veränderten B-Lymphozyten (B-Zellen) aus
  • T-ALL  – die  Leukämiezellen gehen von veränderten T-Lymphozyten (T-Zellen) aus
Dabei können Zellen verschiedener Entwicklungsstufen betroffen sein, was die Benennung der unterschiedlichen Formen anzeigt:  
Veränderungen in den Vorläufer-Zellen der B-Zelllinie werden unterschieden in Pro-B-ALL (auch Prä-prä-B-ALL), Common-B-ALL, Prä-B-ALL und (reife) B-ALL. Veränderungen in der T-Zelllinie werden unterschieden in  Pro-T-ALL,  Prä-T-ALL und  (reife) T-ALL

Welche Zelluntersuchungen sind für die Diagnosestellung wichtig?

Zur Diagnostik werden Proben von peripherem Blut und Knochenmark des Patienten untersucht. Die entnommenen Zellen werden im Labor  mit unterschiedlichen Methoden auf molekulare und zelluläre Veränderungen analysiert:
 
  • Immunphänotypisierung, d.h. Bestimmung von Markern auf der Zelloberfläche (u.a. CD19, CD3, CD7, CD13, CD33) zur Abgrenzung verschiedener Leukämien
  • Nachweis genetischer Marker von Leukämien, wie BCR-ABL, KMT2A-AFF1 u.a.
  • Zytogenetische Untersuchung zum Nachweis chromosomaler Veränderungen (Aberrationen) wie Deletionen, Mutationen und Translokationen, wie beim sog. Philadelphia-Chromosom t(9,22)
     
     

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Welche Klassifikationssysteme gibt es für ALL?

Zur Einteilung der Fülle an verschiedenen Leukämien dienen Klassifikationssysteme, die zytologische, morphologische, immunologische und/oder molekulare Merkmalen der Zellen betrachten. Hierzu zählen z.B.:  
 
  • WHO-Klassifikation nach zyto- und molekulargenetischen Faktoren (WHO = World-Health Organisation)
  • FAB-Klassifikation nach morphologischen Faktoren  (FAB = French-American-British, Einteilung ALL L1, L2, L3)
  • EGIL-Klassifikation nach Oberflächenantigenen (EGIL = European Group for the Immunological Characterization of Leukemias)
  • GMALL-Studien-Gruppen-Klassifikation nach immunologischen Faktoren (Erwachsene)
  • Studien-Gruppen-Klassifikationen für Kinder mit lymphatischen Leukämien
Die Charakterisierung und Klassifikation der Zellen des einzelnen Patienten wird im Anschluss für die Auswahl einer erfolgversprechenden Therapie genutzt.

Gibt es eine Standardtherapie bei akuter lymphatischer Leukämie?

Wurde die Diagnose gestellt, muss schnellstmöglich die Therapie eingeleitet werden, weil die Erkrankung in der Regel sehr rasch voranschreitet.
Aufgrund der Fülle verschiedener Formen gibt es allerdings keine allgemeingültige Standardtherapie. Deshalb wird für jeden einzelnen Patienten ein individuelles Therapieschema erstellt, abhängig vom Leukämie-Subtyp, Allgemeinzustand des Patienten und seinem Alter (Erwachsen oder Kind/Jugendlicher). Auf diese Weise konnten die Heilungschancen bei Erwachsenen in den vergangenen 30 Jahren auf über 50% gesteigert werden.  

Inzwischen stehen eine Reihe verschiedener Behandlungen zur Verfügung, wie
 

In welchen Phasen läuft eine Chemotherapie bei ALL ab?

Die Behandlung wird in 3 Phasen über etwas 2 bis 3 Jahre durchgeführt:
 
  • Induktionstherapie
  • Konsolidierungstherapie
  • Erhaltungstherapie
Induktionstherapie: In der ersten Phase werden die Krebszellen des Patienten mithilfe von Chemotherapeutika (Zytostatika) zerstört, um wieder Raum für eine gesunde Blutzellbildung zu schaffen. Die intensive Chemotherapie erfolgt in mehreren Zyklen, in der Regel stationär. Bei ALL wird häufig eine Kombination der Substanzen Vincristin und Dexamethason mit Anthrazyklin sowie Asparaginase eingesetzt. Wie lange die Therapie dauert, hängt von den individuellen Umständen und dem Erfolg ab.

Vor dem Beginn der Induktionstherapie wird oft noch untersucht, ob weitere Therapieformen in Frage kommen. Sind beim Patienten auch die Hirnhäute mit Krebszellen befallen, kann auch eine Bestrahlung des Kopfes erforderlich sein.

Konsolidierungstherapie: Die zweite Phase der Chemotherapie wird teils ambulant, teils stationär über etwa 1 Jahr hinweg durchgeführt. Welche Medikamente der Patient erhält, wird wieder vom Allgemeinzustand und dem Rückfallrisiko (Rezidivrisiko) bestimmt, d.h. wie groß die Wahrscheinlichkeit für ein Wiederauftreten der Leukämie ist.

Erhaltungstherapie: In der dritten Phase erhält der Patient häufig die Substanzen Mercaptopurin und Methotrexat als eine Art „milde“ Chemotherapie, um ein Wiederaufflammen der Erkrankung dauerhaft zu unterdrücken. Bei der Medikamentenwahl für diese mehrjährige Phase spielt auch die Lebensqualität der Patienten eine wichtige Rolle; viele Patienten können hier wieder ihr gewohntes Alltagsleben führen.
 
 

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Was sind Remission und minimale Resterkrankung?  

Bei etwa 90% der erwachsenen ALL-Patienten können die leukämischen Zellen so stark verringert werden, dass der Körper wieder normale Blutzellen bilden kann. Hier spricht man dann von einer kompletten Remission. Nach 5 Jahren ohne Rückfall (Rezidiv) gilt der Patient als geheilt. 

Sind nach der Therapie noch Leukämiezellen im Körper verblieben, bezeichnet man dies als minimale Resterkrankung (minimal residual disease, MRD). Diese Zellen müssen weiterhin beobachtet und in Schach gehalten werden, damit es nicht zum Rückfall der Leukämie kommt.

Welche zielgerichteten Therapien gibt es bei ALL?

Manche Medikamente nutzen Veränderungen der Krebszellen als Angriffsstellen. Zu diesen zählen insbesondere
 
  • Tyrosinkinase-Inhibitoren
  • monoklonale Antikörper
So können Patienten mit einer Philadelphia-Chromosom-positiven akuten lymphatischen Leukämie (Ph+-ALL) von einer Tyrosinkinase-Inhibitor-Therapie profitieren. Bei den Patienten findet sich in den Leukämiezellen eine genetische Veränderung, die durch Verlagerung von genetischem Material von einem auf ein anderes Chromosom zustande kommt. Diese Translokation (t(9,22) wird als Philadelphia-Chromosom bezeichnet und führt zur Bildung des Fusionsproteins BCR-ABL. Der Tyrosinkinase-Inhibitor Imatinib beispielsweise ist eine Substanz, die gezielt in Signalwege der Leukämiezellen eingreift, die mit dem Fusionsprotein in Zusammenhang stehen.
Auch verschiedene Antikörper können spezifisch an veränderte Zellen binden und deren Vermehrung bremsen. Hierzu zählt beispielsweise der Antikörper Blinatumomab, der gegen das Oberflächenmolekül CD19 gerichtet ist, oder das Antikörperkonjugat Inotuzumab-Ozogamicin, das gegen das Oberflächenmolekül CD22  gerichtet ist und die Leukämiezellen abtötet.

Was ist eine CAR-T-Zell-Therapie?

Bei Patienten mit mehreren Rückfällen werden auch innovative Therapieverfahren, wie eine CAR-T-Zelltherapie in Betracht gezogen. Bei CAR-T-Zellen handelt es sich um gentechnisch veränderte T-Zellen, die inzwischen von der europäischen Arzneimittelbehörde zur Behandlung der ALL unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmten Therapiezentren zugelassen sind. Für diese individualisierte Therapie werden körpereigene Abwehrzellen (T-Zellen) des Patienten gewonnen, gentechnisch so verändert, dass sie speziell die Leukämiezellen erkennen, und anschließend wieder in den Patienten zurückgegeben. Diese Aktivierung einer spezifischen Immunantwort gegen die Krebszellen wird manchmal auch als Krebs-Immuntherapie bezeichnet.
 
 

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Allogene Stammzelltransplantation bei ALL

Insbesondere bei Patienten im Kindesalter mit einem erhöhtem Rückfallrisiko kann eine Stammzelltransplantation (STZ), auch Stammzelltherapie genannt, in Betracht gezogen werden.  Hierbei werden von einem Spender Stammzellen isoliert und dem Patienten übertragen. Die Zellen können dann als Ausgangspunkt für den Aufbau eines gesunden Blutzellsystems dienen. Bei dieser Übertragung von Stammzellen eines anderen Menschen spricht man von einer allogenen Stammzelltransplantation (SZT). Der Spender selbst kann verwandt oder nicht-verwandt sein; wichtig ist aber, dass bestimmte Merkmale zwischen Spender und Empfänger zusammenpassen, damit es nicht zur Abstoßung der Zellen kommt. Hierzu wird eine HLA-Typisierung durchgeführt, die aufzeigt, welche Merkmale relevant sind. Weil die Suche eines geeigneten Spenders eine große Herausforderung ist, bleiben die Einsatzmöglichkeiten der Methode begrenzt.  

Welche Risikofaktoren für ALL sind bekannt?

Auch wenn immer deutlicher wird, welche genetischen Veränderungen an der Entwicklung einer ALL beteiligt sind, sind die eigentlichen Ursachen noch nicht abschließend geklärt. So werden neben genetischen und immunologischen Faktoren auch äußere Einflüsse diskutiert.

Es sind bereits mehrere Risikofaktoren beschrieben, die mit einem schlechteren Ansprechen auf eine Behandlung oder einem erhöhten Risiko für einen Rückfall in Zusammenhang gebracht wurden. Hierzu zählen
 
  • verschiedene Immundefekte oder Chromosomenveränderungen (z.B. Trisomie 21/Down Syndrom, Fanconi-Anämie) 
  • Leukämiezellen mit BCR-ABL-Fusionsgen (Philadelphia-Chromosom)
  • bestimmte genetische Veränderungen in den Leukämiezellen, wie MLL-Fusionsgen, IKZF1 Gen-Veränderungen, PTEN- oder N/K-RAS-Mutationen, Fehlen von NOTCH1-Mutationen, Defekte in DNA-Reparaturmechanismen wie Ataxia teleangiectasia (Louis-Bar-Syndrom)
  • Chromosomenschäden durch radioaktive Strahlung oder myelotoxische Chemikalien, wie Benzol, Chloramphenicol u.a.
Weitere Informationen zur Erkrankung, Diagnostik und Behandlung von Leukämien wie der ALL finden Sie in den Leitlinien der Fachgesellschaften.

Red. journalonko.de

Literatur:

Beiträge zum Thema: ALL Leukämie

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