Bedingung für Metastasenbildung
Bösartige Tumoren breiten sich im Körper aus, indem sie Krebszellen in den Blutkreislauf abgeben, die entfernte Organe erreichen und dort Metastasen bilden können. Der Erfolg einer im Blutkreislauf zirkulierenden Tumorzelle, zur Metastase auszuwachsen, hängt dabei stark von den Eigenschaften der lokalen Umgebung ab. Dieser Vorgang wird oft mit einem „Samen“ (zirkulierende Tumorzelle) verglichen, der auf einen fruchtbaren „Boden“ (metastatische Nische) fallen muss, damit an der entfernten Stelle ein neuer Tumor entstehen kann. Dieses Konzept führt zu der Hypothese, dass ein ungeeigneter „Boden“ dazu beitragen kann, das metastatische Wachstum einzuschränken, indem die gestreuten Krebszellen in einem ruhenden Zustand gehalten werden können und sich nicht weiter teilen.
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Untersuchung der Eigenschaften der metastatischen Nische
Doch bislang war nur wenig darüber bekannt, wie sich die Mikroumgebung einer abgesiedelten Tumorzelle – die sogenannte metastatische Nische – während des Wachstums der Metastase entwickelt. Um dieses Frage zu beantworten, hat ein Forscherteam aus Heidelberg und Mannheim unter der Leitung von Hellmut Augustin gemeinsam mit dem University College London Mäuse untersucht, deren Primärtumoren operativ entfernt wurden, so dass danach die Entstehung von Metastasen in Abwesenheit des Primärtumors beobachtet werden konnte. „Durch diesen Eingriff konnten wir erstmals unterscheiden, welche Eigenschaften der metastatischen Nische vom weit entfernten Primärtumor gesteuert und welche lokal reguliert werden“, erklärt Hellmut Augustin und ergänzt: „Wesentlich ist auch, dass wir damit im experimentellen System die Situation von Tumorpatienten und Tumorpatientinnen nach der Operation nachstellen konnten.“
Metastasenfördende Wirkung durch Primärtumor ausgelöst
Mit besonderem Fokus auf die Lunge führten die Forscher globale Genexpressionsanalysen der metastatischen Nische durch. Dabei entdeckten sie, dass die Endothelzellen, die das Innere der Blutgefäße auskleiden, in Anwesenheit eines Primärtumors das Protein LRG1 (Leucine-rich alpha-2-glycoprotein 1) in großen Mengen produzieren. „Die Blutgefäße bildeten LRG1 ausschließlich in Gegenwart des Primärtumors, was das Wachstum von nahegelegenen Bindegewebszellen in der Lunge stimuliert. Dadurch entsteht eine das Wachstum von Tumorzellen fördernde Mikroumgebung (‚Nische‘), in der sich zirkulierende Tumorzellen niederlassen und zur Lungenmetastase auswachsen können“, sagt DKFZ-Forscher Mahak Singhal und ergänzt: „Damit haben wir erstmals bewiesen, dass die metastasenfördernde Wirkung der Nische über weite Entfernung durch den Primärtumor ausgelöst wird.“ Von einer gewissen Größe an wirken die Metastasen dann selbst wie ein Primärtumor und fördern erneut die Bildung von LRG1.
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LRG1: Zielstruktur für neue Therapieansätze
Wie ändert sich der Verlauf der Metastasierung, wenn das Schlüsselmolekül LRG1 mit einem Antikörper blockiert wird? Tatsächlich gelang es den Forschenden, auf diese Weise das metastatische Wachstum von Brust- und Lungentumoren zu verlangsamen. Eines der überraschendsten Erkenntnisse der aktuellen Studie war dabei, dass LRG1 nicht nur von Blutgefäßen an der Metastasierungsstelle produziert wurde, sondern dass es von Endothelzellen im gesamten Körper gebildet und in die Zirkulation abgegeben wurde. So konnten die Forschenden das metastasenfördernde Molekül sogar direkt in Blutproben nachweisen. „Wir können nun zum einen das von den Endothelzellen produzierte LRG1 als Biomarker nachweisen, der auf einen metastasierenden Tumor hindeutet. Darüber hinaus wollen wir LRG1 als Zielstruktur für neue Therapieansätze validieren, die
möglicherweise die metastatische Ausbreitung von Tumoren aufhalten können“, fasst Studienleiter Hellmut Augustin die aktuellen Ergebnisse zusammen.