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JOURNAL ONKOLOGIE 02/2024

Künstliche Intelligenz in der Onkologie – Fortschritt durch neue Techniken

Prof. Dr. med. Jakob Nikolas Kather

Künstliche Intelligenz in der Onkologie – Fortschritt durch neue Techniken
© ART STOCK CREATIVE - stock.adobe.com
Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) haben vielfältige Einsatzmöglichkeiten in der Krebsmedizin, insbesondere in der Diagnostik. Wichtig ist vor allem die Fähigkeit von KI-Methoden, strukturierte Informationen aus unstrukturierten Daten wie Bildern und Texten zu extrahieren. Der Schwerpunkt vieler Anwendungen liegt auf der Analyse von Histopathologie- und Radiologiebildern zur Identifizierung von Biomarkern und Tumor-Subtypen. Hier werden einige der jüngsten Entwicklungen in der KI dargestellt, einschließlich Vision Transformers und selbstüberwachtem Lernen.

Einleitung

Die KI hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht und wird mittlerweile in vielen Bereichen unserer Gesellschaft eingesetzt, was unseren Alltag durchgehend beeinflusst. Medizinische Anwendungen neuer Technologien hinken nichtmedizinischen Anwendungen wie der Unterhaltungs­elektronik typischerweise hinterher, oft um einige Jahre. Dies liegt an der Notwendigkeit einer regulatorischen Zulassung und der Generierung klinischer Evidenz, bevor Patient:innen neuen Technologien ausgesetzt werden. Dennoch sehen wir die ersten klinisch zugelassenen und teilweise klinisch validierten KI-Produkte in vielen Bereichen der Medizin, insbesondere in der Krebsmedizin (1).

Die Stärke von KI-Methoden liegt in der Fähigkeit, strukturierte Informationen aus unstrukturierten Daten zu extrahieren. Strukturierte Information ist für Computer viel einfacher zu verarbeiten. Eine der wichtigsten Quellen unstrukturierter Daten sind Bilder und Texte. „Unstrukturiert“ bedeutet, dass Muster sehr unterschiedlich sein können. Beispielsweise gibt es viele Möglichkeiten, eine Katze oder einen Hund zu fotografieren und zu beschreiben. Analog dazu gibt es fast unbegrenzt viele Muster, die ein Kolonkarzinom in Pathologie-Schnitten aufweisen kann. Daher sind Bilder „unstrukturierte Daten“. Wiederum gibt es nicht unendlich viele Möglichkeiten, eine pathogene BRAF-Mutation im Code unserer DNA zu haben, und auch nur wenige Möglichkeiten, wie Menschen abnormale Leberwerte in Labortests aufweisen. Bei diesen Beispielen handelt es sich also um „(teil)strukturierte“ Daten.

Die Analyse unstrukturierter Daten mit computerbasierten Methoden war viele Jahre lang sehr schwierig, während computerbasierte Methoden längst der Stand der Technik bei der Interpretation strukturierter Daten sind. Die Verarbeitung unstrukturierter Daten ist jedoch sehr attraktiv, da die meisten in der Medizin generierten Daten in diese Kategorie fallen. Bilder sind besonders interessant in der Krebsmedizin, da Krebsvorsorge, z.B. durch Koloskopie, Dermatoskopie oder Mammographie, auf Bildern basiert. Ebenso basiert die Krebsdiagnose i.d.R. auf Histopathologie und entsprechenden visuellen Daten, genauso wie die Bestimmung des Krebsstadiums, dessen Festlegung üblicherweise durch Pathologie und bildgebende Methoden der Radiologie erfolgt. Solche Daten mit KI-Methoden, insbesondere mit tiefen neuronalen Netzwerken, zu analysieren, funktioniert jetzt sehr gut. Aufbauend auf Forschungsarbeiten gibt es aktuell zahlreiche klinisch zugelassene Algorithmen auf dem Markt in der EU.
 
 
 

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© Laurent – stock.adobe.com

KI-basierte Biomarker

In unserer Forschungsgruppe stellen wir speziell die Frage, wie wir KI-Methoden auf Bilddaten anwenden können, nicht nur für diagnostische, sondern auch für Biomarker-Zwecke. Histopathologie-Bilder und radiologische Bilder enthalten viele Informationen, die nicht nur zur Vorhersage des Vorhandenseins eines Tumors verwendet werden können, sondern auch zur Vorhersage seines zugrundeliegenden molekularen Subtyps (2). Insbesondere konnten wir 2019 zeigen, dass die Mikrosatelliteninstabilität (MSI), – der wichtigste Biomarker für die Krebsimmuntherapie bei kolorektalem Krebs –, direkt von Hämatoxylin- und Eosin-gefärbten Histopathologie-Schnitten mit einer akzeptablen Genauigkeit vorhergesagt werden kann (3). Einige Dutzend nachfolgende Studien haben dies validiert (4) und ein Unternehmen hat diese Erkenntnisse genutzt, um ein Produkt zu erstellen, das nun auf dem Markt in der EU ist und kürzlich validiert wurde (5).

KI-Techniken sind jedoch nicht statisch. Sie verbessern sich massiv in Bezug auf Vorhersagegenauigkeit, aber auch Generalisierbarkeit – das bedeutet, wie gut sie auf neue Datenquellen angewendet werden können, z.B. auf pathologische Schnitte aus einer anderen Einrichtung. 2 Techniken haben in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte ermöglicht. Dies sind eine Netzwerkarchitektur namens Vision Transformers und eine Trainingsmethode namens selbstüberwachtes (self-supervised) Lernen (6). Transformer-Neuronale-Netze liegen den meisten KI-Durchbrüchen in den letzten 12 Monaten zugrunde, einschließlich ChatGPT (7). Transformer-Modelle funktionieren wirklich gut bei der Analyse von Bilddaten, dies wird als Vision Transformers bezeichnet. Auch das selbstüberwachte Lernen ist eine bahnbrechende Technologie, die es Forschenden ermöglicht hat, neuronale Netzwerke an großen Datensätzen nicht „gelabelter“ Daten zu trainieren. Dies sind z.B. ohne zugehörige klinische Daten, die vor dem selbstüberwachten Lernen nur eingeschränkt durch KI nutzbar waren. Diese Technik ermöglicht es dann, Transformer oder andere neuronale Netzwerke in einem zweiten Schritt für ein spezifisches Problem zu verfeinern. Selbstüberwachtes Lernen hat die große Menge an nicht-annotierten klinischen Daten als nützliche Ressource zum Vortrainieren von Deep-Learning-Netzwerken verfügbar gemacht.

In einer jüngsten Veröffentlichung, zu der mehr als 10 Institutionen beigetragen haben (8), kombinierten wir selbstüberwachtes Lernen mit einem neuen Transformer-Neuronalen-Netzwerk, um MSI und andere molekulare Biomarker bei kolorektalem Karzinom direkt aus Routinepathologie-Schnitten vorherzusagen. Die klinische Fragestellung ähnelt früheren Arbeiten, aber mit diesen neuen Techniken kombiniert mit einem größeren Datensatz konnten wir zeigen, dass die Vorhersageleistung früherer Ansätze deutlich übertroffen werden kann. Insbesondere kann eine gute Leistung erreicht werden, wenn nur Gewebe aus einer Biopsie verfügbar sind. Früher wurden beim Kolorektalkarzinom kaum Biopsieanalysen verwendet. Da bei Kolorektalkarzinomen mit MSI allerdings die Immuntherapie in neoadjuvanten Therapielinien immer mehr an Bedeutung gewinnt, wird eine Untersuchung der MSI anhand von Biopsien in Zukunft immer wichtiger werden. Es wurde somit gezeigt, dass technologische Fortschritte zu potenziellen medizinischen Fortschritten führen können. Studien wie diese können nicht direkt in der Klinik verwendet werden, aber wie wir in der Vergangenheit gesehen haben, werden sie die Grundlage für eine neue Generation von KI-basierten Biomarkern in der Präzisionsonkologie in einigen Jahren sein.

Ausblick

An den beteiligten Institutionen werden wir unsere Arbeit fortsetzen und damit die neuesten Technologien zu nützlichen Werkzeugen machen, um langjährige medizinische Fragen zu lösen. Wichtig für die Zukunft wird eine fortgesetzte Methodenentwicklung sein. Dies muss per Definition durch interdisziplinäre Arbeit geschehen. In akademischen Teams, die sowohl fortgeschrittene Fragen der Krebsmedizin verstehen als auch fortgeschrittene KI-Methoden anwenden und weiterentwickeln können, werden neue Grundlagen für die medizinische Anwendung geschaffen. Weiterhin braucht es dann typischerweise Kollaborationen zwischen akademischen Einrichtungen und der Industrie, um regulatorische Zulassungen für Software zu erlangen. Dies kann über die Kollaboration mit existierenden Industriepartnern oder über die eigene Ausgründung Universitäts-assoziierter Start-up-Firmen gelingen. Ganz am Ende müssen neue KI-Methoden natürlich in der klinischen Routine evaluiert werden, idealerweise in prospektiven, kontrollierten Studien. Weiterhin ist es auch von enormer Bedeutung, durch diesen gesamten Entscheidungsprozess hindurch auch den Dialog mit Patient:innen in Form von Interessengemeinschaften oder Vertretungs-Organisationen zu suchen. Dies kann einerseits die Akzeptanz neuer Technologien für medizinische Anwendung erhöhen, andererseits hilft es auch der Forschung, auf die tatsächlichen Bedürfnisse von Patient:innen in der Weiterentwicklung solcher Technologien einzugehen.


Es besteht kein Interessenkonflikt.
 
Prof. Dr. med. Jakob Nikolas Kather M.Sc.
Prof. Dr. med. Jakob Nikolas Kather M.Sc.


Lehrstuhl für Clinical, Artificial Intelligence,
Else Kröner Fresenius Center for Digital Health,
Technische Universität Dresden

Tel.: 0351/45815812
E-Mail: jakob_nikolas.kather[at]tu-dresden.de
Web: www.kather.ai
Literatur:

(1) Rösler W et al. An overview and a roadmap for artificial intelligence in hematology and oncology. J Cancer Res Clin Oncol 2023;149:7997-8006.
(2) Försch S et al. Künstliche Intelligenz in der Pathologie. Dtsch Arztebl Int 2021;118:199-204; DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0011
(3) Kather JN et al. Deep learning can predict microsatellite instability directly from histology in gastrointestinal cancer. Nat Med 2019; 25:1054-1056.
(4) Echle A et al. Deep learning for the detection of microsatellite instability from histology images in colorectal cancer: A systematic literature review. ImmunoInformatics 2021;3-4:100008.
(5) Saillard C et al. Validation of MSIntuit as an AI-based pre-screening tool for MSI detection from colorectal cancer histology slides. Nat Commun 2023;14:6695.
(6) Krishnan R et al. Self-supervised learning in medicine and healthcare. Nat Biomed Eng 2022;6:1346-1352.
(7) Clusmann J et al. The future landscape of large language models in medicine. Commun Med 2023;3:141.
(8) Wagner SJ et al. Transformer-based biomarker prediction from colorectal cancer histology: A large-scale multicentric study. Cancer Cell 2023;41:1650-1661.


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