Journal Onkologie
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Eine besondere Patientengruppe

Die AYAs bilden in der Hämatoonkologie eine zahlenmäßig kleine, aber medizinisch bedeutsame Gruppe. Ihr Minderheitenstatus auf den Stationen der Pädia­trie und Erwachsenen-Onkologie führt häufig zu sozialer Isolation, da ihnen der Austausch mit Gleichaltrigen fehlt. In der Pädiatrie können Jugendliche neben Kleinkindern liegen, während sie in der Erwachsenen-Onkologie oft die einzigen jungen Patient:innen sind.

Chemo-, Strahlen-, Immuntherapien und Stammzelltransplantationen sind zwar entscheidend für die hohen Heilungsraten, bergen jedoch ein erhebliches Risiko für Langzeitfolgen. Diese körperlichen, psychischen und sozialen Spätfolgen erfordern eine langfristige und spezialisierte Nachsorge. Im Vergleich zu Kindern und älteren Patient:innen fehlt es bei AYAs an etablierten Nachsorgestrukturen und umfassenden Studiendaten. Die Forschungslücke in dieser Gruppe macht deutlich, dass spezifische Konzepte dringend notwendig sind, um die langfristige Lebensqualität und Gesundheit dieser Patient:innen zu sichern.

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Spektrum der Langzeitfolgen

Im Gegensatz zu Kindern, für die umfangreiche Studien vorliegen, ist die Datenlage zu Langzeitfolgen intensiver Krebstherapien bei jungen Erwachsenen unzureichend. Dies erschwert die Entwicklung gezielter Nachsorgekonzepte. Zu den körperlichen Spätfolgen zählen insbesondere Zweitneoplasien. Ein typisches Beispiel hierfür sind Mammakarzinome, die bei Patientinnen auftreten, die aufgrund eines Hodgkin-Lymphoms eine Anthra­zyklin-haltige Chemotherapie und Bestrahlung erhalten haben. Auch kardiovaskuläre Komplikationen wie Kardiomyopathien, die durch die eingesetzten Therapien begünstigt werden, sind häufig. Endokrinologische Störungen, die von Adipositas und Schilddrüsenproblemen bis hin zu Fertilitätsstörungen und Hypogonadismus reichen, sind weitere häufig beobachtete Langzeitfolgen. Auch Nierenfunktionsstörungen und Hör­störungen können auftreten.

Ein kleines Kind mit braunen Haaren trägt auf dem rechten Ohr ein Hörgerät.

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Psychische Spätfolgen können die langfristige Lebensqualität erheblich beeinflussen. Depressionen und Anpassungsstörungen sind weit verbreitet und beeinträchtigen den Alltag der Betroffenen nachhaltig. Häufig sind auch Probleme in der sozialen Funktionsfähigkeit zu beobachten, die sich negativ auf Beziehungen, die berufliche Integration und die allgemeine Lebensgestaltung auswirken können. Darüber hinaus sind die sozialen Auswirkungen nicht zu unterschätzen. Chronische Erkrankungen führen oft zu einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit und damit zu finanziellen Belastungen. Junge Krebsüberlebende kämpfen häufig mit praktischen Problemen, beispielsweise mit Schwierigkeiten bei der Kreditvergabe oder dem Abschluss von Versicherungen.

Strukturierte Nachsorge

Eine individuell angepasste Langzeitbetreuung für junge Krebsüberlebende erfordert eine gezielte Überleitung von der pädiatrischen in die Erwachsenen-Onkologie, da sich die Versorgungsstrukturen in beiden Bereichen grundlegend unterscheiden. Während in der Pädiatrie alle Untersuchungen und Therapien zentral am Behandlungszentrum durchgeführt werden, ist die Erwachsenen-Onkologie stärker dezentral organisiert, mit einer engen Zusammenarbeit zwischen Klinik und niedergelassenen Onkolog:innen.

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Die Transitionsambulanz der Uniklinik Dresden, die 2020 gegründet wurde, bietet eine strukturierte Nachsorge für Betroffene. Ursprünglich als Überleitungseinrichtung konzipiert, hat sie sich zu einem umfassenden Nachsorgekonzept weiterentwickelt und bietet eine lebenslange Betreuung an, die flexibel an die individuellen Bedürfnisse der Patient:innen angepasst wird. Ein interdisziplinäres Team aus medizinischen Fachkräften und Psychoonkolog:innen adressiert die vielfältigen Bedürfnisse dieser Patientengruppe. Neben der medizinischen Versorgung kümmern sich speziell geschulte Kinderkrankenschwestern um die organisatorische Patientenbetreuung, die psychoonkologische Beratung und die Erfassung sozialer Bedarfe. Die Nachsorgeintervalle werden risiko­stratifiziert festgelegt. Patient:innen mit geringem Risiko werden in größeren Abständen untersucht, während bei erhöhtem Risiko engmaschigere Kontrollen erfolgen.

Patientennahe Betreuungsansätze

Das AYA-Guide-Projekt wurde ins Leben gerufen, um der sozialen Isolation junger Patient:innen während ihrer stationären Behandlung entgegenzuwirken. Die spendenfinanzierte Position des AYA-Guides bietet eine niedrigschwellige, nicht-medizinische Unterstützung. Sozialpädagogik-Studierende besuchen die Patient:innen auf den Stationen und gestalten individuell an die Bedürfnisse der Betroffenen angepasste Aktivitäten wie Gespräche, Spaziergänge oder Spiele. Das Konzept ist bewusst frei von medizinischen oder psychologischen Aufgaben und dient als ergänzende Unterstützung zur regulären medizinischen Versorgung. Darüber hinaus erfassen die AYA-Guides die Wünsche und Bedürfnisse der Patient:innen durch gezielte Assessments. Diese Informationen tragen dazu bei, zukünftige Unterstützungsangebote gezielt weiterzuentwickeln und die Versorgung kontinuierlich zu verbessern. Das Projekt zeigt, wie wichtig soziale Interaktion und persönliche Ansprache für die Lebensqualität junger Krebsüberlebender sind.

LE-Na-Studie: Evidenzbasierte Nachsorge

Ziel der LE-Na-Studie ist es, eine strukturierte und flächendeckende Langzeit-Nachsorge für ehemalige Kinderkrebspatient:innen zu eta­blieren. Dabei zeigte sich, dass es für junge Erwachsene bislang keine spezifischen Nachsorgeempfehlungen gibt. Auf der Basis dieser Erkenntnis wurde eine bundesweite Zusammenarbeit initiiert, in deren Rahmen interdisziplinär an neuen Konzepten gearbeitet wurde. Ehemalige Patient:innen werden durch das Deutsche Kinderkrebsregister (DKKR) kontaktiert und in Studienzentren eingeladen, um Zugang zu den angebotenen Nachsorgeprogrammen zu erhalten.

Darüber hinaus gibt es eine umfassende Literaturrecherche, die primär Veröffentlichungen zu AYAs berücksichtigte. Fehlten AYA-spezifische Daten, wurden Empfehlungen für Kinder oder ältere Patientengruppen herangezogen und entsprechend gekennzeichnet. Auf dieser Grundlage entstanden 32 evidenzbasierte Empfehlungen, die sich an den individuellen Diagnosen und Therapien der Patient:innen orientieren und einen Leitfaden für Nachsorgende, Hämatoonkolog:innen und Hausärzt:innen darstellen. Eine überraschende Erkenntnis der Literatur­recherche war das bislang unterschätzte Risiko für Zweitneoplasien. Dieses wurde erst durch die Langzeitbeobachtung von Patient:innen sichtbar, die 20-30 Jahre nach ihrer ursprünglichen Therapie erneut erkrankten. Diese Erkenntnisse verdeutlichen die Dringlichkeit weiterer prospektiver Studien, insbesondere zu modernen Therapien wie Immuntherapien, CAR-T-Zell-Therapien und Tyrosinkinase-Inhibitoren, deren Langzeitfolgen bisher kaum erforscht sind.

Vernetzung und Weiterentwicklung

Die spezialisierte Nachsorge für AYAs befindet sich noch in der Aufbauphase. Während das Dresdner Modell als Pilot­projekt bereits wichtige Erkenntnisse liefert, zeigt sich deutlich, dass eine flächendeckende Ausweitung solcher Strukturen dringend erforderlich ist. Cancer Survivorship-Sprechstunden und Transition gibt es auch an anderen Standorten, aber noch nicht flächendeckend. Für AYAs gibt es sie kaum. Die Herausforderungen liegen dabei nicht nur in der medizinischen Expertise, sondern auch in der Finanzierung und der organisatorischen Umsetzung. Ein zentraler Erfolgsfaktor ist eine bessere Vernetzung der verschiedenen Akteure. Die pädiatrische und die internistische Onkologie sollten enger zusammenarbeiten, um den Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin nahtlos zu gestalten. Niedergelassene Ärzt:innen benötigen gezielte Fortbildungen, um die spezifischen Bedürfnisse der AYA-Population zu verstehen und in der Praxis umzusetzen. Gleichzeitig müssen Kostenträger für die Bedeutung langfristiger Betreuungskonzepte sensibilisiert werden, um eine nachhaltige Finanzierung sicherzustellen.

Fazit

Die Betreuung von AYAs erfordert eine patientenzentrierte und interdisziplinäre Herangehensweise. Eine offene Kommunikation auf Augenhöhe, die den individuellen Hintergrund der Patient:innen berücksichtigt, ist essenziell. Der Austausch mit Gleichaltrigen sollte gefördert werden, da er hilft, soziale Isolation zu überwinden. Ärzt:innen sollten auf externe Unterstützungsangebote, wie die der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs hinweisen. Psychoonkologische Begleitung und sozialarbeiterische Unterstützung müssen fester Bestandteil der Nachsorge sein. Zudem sollten Fortbildungsangebote für niedergelassene Ärzt:innen etabliert werden. Das Ziel ist ein ganzheitliches Versorgungsmodell, das medizinische und psychosoziale Unterstützung miteinander verbindet.

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