Metastasen – Wenn Tumorzellen wandern
Anika Mifka M.Sc.Metastasen sind die Haupttodesursache bei über 90% aller Krebspatient:innen. Obwohl täglich große Mengen von Krebszellen in die Blutbahn freigesetzt werden, entwickeln weniger als 0,1% tatsächlich Tochtergeschwülste. Die Forschung zeigt: Bereits präkanzeröse Zellen können vor der Tumordiagnose disseminieren. Gleichzeitig eröffnen neue Therapieansätze - insbesondere bei oligometastatischer Erkrankung - erstmals realistische Heilungschancen durch lokale ablative Verfahren.
Was sind Metastasen?
Entwickelt ein Patient oder eine Patientin eine Krebserkrankung, kann es im Zuge der bösartigen Erkrankung zur Metastasierung kommen. Eine Metastase, auch Tochtergeschwulst oder Filiae genannt, ist eine Absiedlung maligner Tumorzellen aus dem Primärtumor bei Krebs. Metastasen sind räumlich vom Primärtumor getrennte sekundäre Tumoren in entfernten Körperregionen. Die Metastasierung ist die Haupttodesursache bei über 90% aller Krebspatient:innen und gilt als zentrales Merkmal („Hallmark“) von Krebs. Obwohl täglich große Mengen von Krebszellen in die Blutbahn freigesetzt werden, entwickeln weniger als 0,1% tatsächlich Metastasen [1, 2].
Für eine erfolgreiche Metastasierung müssen Krebszellen den Primärort verlassen, im Blutstrom zirkulieren, Druck in Blutgefäßen überstehen, sich an neue zelluläre Umgebungen anpassen und den Angriff des Immunsystems überleben. Die Forschung zeigt, dass bereits präkanzeröse Zellen vor der eigentlichen Krebsdiagnose disseminieren können. Früh streuende Zellen sind oft die Hauptquelle späterer Metastasen. Metastasen bilden sich häufig in Lunge, Leber, Knochen oder Gehirn, wobei die Organverteilung tumorspezifisch ist. Der Befall jedes anderen Organs ist jedoch ebenso möglich [1, 2].
Haben sich Tochtergeschwülste gebildet, ist die Erkrankung bereits in einem fortgeschrittenen Stadium. Den Patient:innen stehen verschiedene Therapien zur Verfügung: Operation, Bestrahlung, Chemotherapie und zielgerichtete Therapien [1, 2].
Wie entstehen Metastasen?
Die Entstehung von Metastasen erfolgt in fünf definierten Schritten [1, 2]:
Invasion - Eindringen in umliegendes Gewebe
Intravasation - Eintritt in Blut- oder Lymphgefäße
Zirkulation - Überleben im Blutstrom
Extravasation - Austritt aus Gefäßen am Zielort
Kolonisation - Ansiedlung und Wachstum am neuen Ort
Ein Schlüsselmechanismus ist die Epithelial-Mesenchymale Transition (EMT), bei der Tumorzellen ihre epithelialen Eigenschaften verlieren und mesenchymale Charakteristika entwickeln. Dies führt zum Verlust der Zellpolarität, verringerter Zelladhäsion und erhöhter Migrations- und Invasionsfähigkeit. Tumorzellen durchlaufen dabei verschiedene Zwischenstadien - solche mit gemischten Eigenschaften sind besonders effektiv bei der Metastasierung [1, 2].
Einige Zellen lösen sich aus dem Zellverband und werden über Blutbahn oder Lymphsystem transportiert. CTCs können sich an die Lymphknotenmikroumgebung anpassen, indem sie ihren Stoffwechsel auf Fettsäureoxidation umstellen - ein Prozess, der durch den YAP-Signalweg gesteuert wird. Die Metastasierung wird maßgeblich durch die Tumor-Mikroumgebung beeinflusst, die aus Immunzellen (Makrophagen, T-Zellen, NK-Zellen), Stromazellen, Fibroblasten und extrazellulärer Matrix besteht. Metastatische Tumoren schaffen oft eine immunsuppressive Umgebung [1, 2].
Nach der „Seed and Soil“-Theorie bevorzugen metastatische Zellen (Seeds) spezifische Organnischen (Soil). Präexistierende genetische Heterogenität und Plastizitätsmechanismen ermöglichen die Anpassung an verschiedene Gewebenischen. Neue Erkenntnisse zeigen, dass bereits präkanzeröse Zellen vor der eigentlichen Tumordiagnose disseminieren können. Wann genau Zellen metastasieren und welche Voraussetzungen erforderlich sind, wird intensiv erforscht [1, 2]
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für die Bildung von Metastasen?
Die Wahrscheinlichkeit, dass Krebs metastasiert, hängt von vielen Faktoren ab. Die wichtigsten sind [1, 2]:
Tumorcharakteristika:
Biologische Eigenschaften des Tumors (histologischer Typ, Grading, genetische Mutationen)
Tumorgröße - die Wahrscheinlichkeit metastatischer Erkrankung korreliert stark mit der Primärtumorgröße (TNM-Staging)
Ort des Primärtumors - bestimmt organspezifische Metastasierungsmuster
Staging-Parameter:
Lymphknotenbeteiligung
TNM-Klassifikation
Mikroumgebung:
Vaskularisation der Tumorumgebung und des Tumors
Tumor-Mikroumgebung-Zusammensetzung
Immunstatus des Patienten
Physikalische Faktoren:
Mechanischer Druck auf den Tumor und während der Intravasation
Gewebearchitektur und Gefäßstruktur
Molekulare Faktoren:
Präexistierende genetische Heterogenität der Tumorzellen
Metabolische Anpassungsfähigkeit an verschiedene Organnischen
Plastizitätsmechanismen für dynamische Gewebeanpassung
Welche Arten von Metastasen gibt es?
Metastasen lassen sich in fünf Kategorien einteilen. Diese sind [2]:
Räumlicher Abstand zum Primärtumor
Weg der Metastasierung
Ort der Metastasen
Größe
Verteilung
Diese werden auch für die TNM-Klassifikation herangezogen, mit der der Tumor vor der Therapie eingeteilt wird. Größe und Eindringtiefe des Tumors (T), Lymphknotenbefall (N), Metastasen (M).
1. Räumlicher Abstand zum Primärtumor
Bilden sich Metastasen in der Nähe des ursprünglichen Tumors, spricht man von lokalen Metastasen. Metastasen in den primären Lymphknotenstationen im Abflussgebiet des Tumors werden als regionale oder regionäre Metastasen bezeichnet. Wurden Stationen der Lymphknoten übersprungen, liegen Skip-Metastasen vor. Haben sich die Metastasen in einem weiter entfernten Gewebe gebildet, bezeichnet man sie als Fernmetastasen.
2. Weg der Metastasierung
Um sich auszubreiten, gibt es für die bösartigen Tumorzellen verschiedene Wege, über:
die Blutbahn = hämatogene Metastasierung
die Lymphbahn = lymphogene Metastasierung
die Körperhöhle = intrakavitäre Metastasen
anatomische Gangsysteme = kanalikuläre Metastasierung
medizinische Eingriffe = iatrogene Metastasierung
3. Ort der Metastasen
Obgleich Metastasen überall im ganzen Körper entstehen können, gibt es doch Organe und Gewebe, die häufiger betroffen sind. Diese sind: Leber, Knochen und Gehirn. Bestimmte Indikationen sind mit Metastasen in bestimmten Bereichen assoziiert. Lebermetastasen treten zum Beispiel gehäuft bei Betroffenen mit Mammakarzinom oder Prostatakarzinom auf.
4. Größe der Metastasen
Man unterscheidet zwischen Mikrometastasen und Makrometastasen. Eine Mikrometastase ist sehr klein und nur mit speziellen Verfahren nachweisbar. Mikrometastasen sind oft biologisch weniger aggressiv, aber therapeutisch herausfordernd, da viele Medikamente primär bei Makrometastasen entwickelt werden. Liquid Biopsy mit ctDNA-Nachweis ist ein vielversprechender Biomarker für Mikrometastasen. Die Makrometastase ist klinisch manifest und sicht- sowie darstellbar.
5. Verteilung der Metastasen
Singuläre Metastase: Es liegt nur eine einzige Metastase in einem bestimmten Organ vor. Gleichzeitig sind weitere Metastasen in anderen Organsystemen entstanden.
Oligometastasierung: In ein bis zwei Organsystemen finden sich drei bis fünf Metastasen.
Solitärmetastasierung: Im gesamten Körper befindet sich nur eine einzelne Metastase.
Karzinose: In ganzen Organen oder Körperregionen liegt eine diffuse Metastasierung vor.
Lebermetastasen, Knochenmetastasen, Hirnmetastasen
Obgleich Filiae überall im Körper entstehen können, gibt es dennoch Organe, die häufiger von Tochtergeschwülsten befallen werden als andere: Leber, Knochen und Gehirn.
Lebermetastasen: Tumorzellen in der Leber
Haben sich die Tumorzellen über die Blut- oder Lymphbahn im Körper verteilt und in der Leber angesiedelt, spricht man von Lebermetastasen. Sie können kurz nach der Entwicklung des ursprünglichen Tumors auftreten, aber auch erst Monate oder Jahre später. Die Leber ist das größte Organ im menschlichen Körper. Sie befindet sich unterhalb der rechten Lunge und ist in 2 Lappen unterteilt (den rechten und den linken). Die Leber besteht aus Zellen, die Hepatozyten genannt werden.
Die Leber hat mehrere wichtige Funktionen:
Aufnahme und der Abbau von Nährstoffen
Produktion von Galle
Filterung und Entfernung giftiger Substanzen aus dem Blut
Produktion von Proteinen, die helfen, Blutungen aus einer Schnittwunde oder Verletzung zu stoppen
Da diese Funktionen durch die Tochtergeschwülste gestört sind, sind Lebermetastasen sehr gefährlich. Die meisten Lebermetastasen beginnen als Krebs im Dickdarm oder Mastdarm. Bis zu 70% der Menschen mit Dickdarmkrebs entwickeln schließlich Lebermetastasen. Dies liegt zum Teil daran, dass die Blutversorgung aus dem Darm über die Pfortader direkt mit der Leber verbunden ist.
Knochenmetastasen: Tumorzellen im Knochen
Knochenmetastasen entstehen, wenn sich Krebszellen von ihrem Ursprungsort auf einen Knochen ausbreiten. Fast alle Krebsarten können in die Knochen streuen. Einige Krebsarten sind jedoch besonders anfällig für eine Ausbreitung in den Knochen, darunter Brustkrebs und Prostatakrebs.
Knochenmetastasen können in jedem Knochen auftreten, am häufigsten jedoch in der Wirbelsäule, im Becken und im Oberschenkel. Knochenmetastasen können das erste Anzeichen dafür sein, dass Sie Krebs haben, oder sie können auch erst Jahre nach einer Krebsbehandlung auftreten.
Knochenmetastasen können Schmerzen und Knochenbrüche verursachen. Von seltenen Ausnahmen abgesehen, kann Krebs, der sich auf die Knochen ausgebreitet hat, nicht geheilt werden. Behandlungen können helfen, Schmerzen und andere Symptome von Knochenmetastasen zu lindern.
Hirnmetastasen: Tumorzellen im Gehirn
Hirnmetastasen entstehen, wenn sich Krebszellen von ihrem Ursprungsort ins Gehirn ausbreiten. Jeder Krebs kann sich im Gehirn ausbreiten, aber die Krebsarten, die am ehesten Hirnmetastasen verursachen, sind Lungenkrebs, Brustkrebs, Dickdarmkrebs, Nierenkrebs und Melanome.
Beginnen die Tochtergeschwülste im Gehirn der Patient:innen zu wachsen, üben sie Druck auf das umliegende Hirngewebe aus und verändern dessen Funktion. Dies verursacht Anzeichen und Symptome wie Kopfschmerzen, Persönlichkeitsveränderungen, Gedächtnisverlust und epileptische Anfälle.
Die Behandlung von Menschen, deren Krebs sich auf das Gehirn ausgebreitet hat, kann eine Operation, Strahlentherapie, Chemotherapie, Immuntherapie oder eine Kombination von Behandlungen umfassen. In bestimmten Situationen können auch andere Behandlungen empfohlen werden. Die Behandlung konzentriert sich häufig auf die Linderung von Schmerzen und Symptomen, die durch die Krebserkrankung verursacht werden.
Wie werden Metastasen behandelt?
Die Behandlung hängt ab von [1, 2]:
der ursprünglichen Krebserkrankung
wie weit sich der Krebs ausgebreitet hat und wo er sich befindet
Alter und Gesundheitszustand der Betroffenen
den persönlichen Behandlungswünschen der Patient:innen
Forschende erfahren immer mehr darüber, wie sich Metastasen auf molekularer und genetischer Ebene vom Ursprungstumor unterscheiden können. Die Plastizität metastatischer Zellen ermöglicht eine dynamische Reprogrammierung, was Resistenzen gegen verschiedene Therapien verursachen kann. Aus diesem Grund unterscheidet sich die Behandlung von Metastasen oft von der Behandlung des ursprünglichen Tumors [1, 2].
Die Behandlung kann eine Chemotherapie oder eine Hormontherapie umfassen. Bei einigen Krebsarten kommen auch operative Eingriffe und Strahlentherapie in Frage. Die Ärzt:innen können eine Behandlungsart ausprobieren und dann zu einer anderen wechseln, wenn die erste Behandlung nicht mehr wirkt. Oder die Betroffenen erhalten eine Kombination von Behandlungen, z.B. eine operative Entfernung in Kombination mit einer Strahlentherapie [1, 2].
Die wichtigsten Arten der Behandlung von Metastasen sind [1, 2]:
Systemische Therapie:
Chemotherapie
Zielgerichtete Therapien
Hormontherapien
Immuntherapien
Lokale Therapie:
Operationen
Strahlentherapie
Ablative Verfahren (Radiofrequenzablation, Embolisation)
Oligometastatische Behandlung:
Bei begrenzter Metastasierung (1-2 Organsysteme, 3-5 Metastasen) können lokale ablative Therapien bedeutsamen klinischen Nutzen bieten [1, 2]:
Chirurgische Resektion
Lokale konsolidierende Strahlentherapie
Leberdirekte Therapien (hepatische Arterieninfusion, Embolisation)
Radium-233 bei Knochenmetastasen
Sind Metastasen heilbar?
In einigen Fällen kann metastasierender Krebs geheilt werden, aber in den meisten Fällen wird der Krebs durch die Behandlung nicht geheilt. Das Wachstum des Krebses kann jedoch verlangsamt und die Symptome gelindert werden. Bei bestimmten Krebsarten ist es möglich, noch viele Monate oder Jahre zu leben, selbst wenn sich bereits Metastasen gebildet haben.
Wie gut eine Behandlung wirkt, hängt von folgenden Faktoren ab:
Art der Krebserkrankung
Lokalisation des Tumors
Größe und Ausbreitung des Tumors
Wachstumsgeschwindigkeit
Therapie
Ansprechen des Tumors auf die Behandlung
Anzahl und Verteilung der Metastasen
Es ist möglich, dass die Erkrankung chronisch wird, was ein Überleben von mehreren Monaten oder sogar Jahren bedeuten kann. Bei oligometastatischer Erkrankung sind durch moderne lokale Therapieverfahren sogar Heilungen möglich.
Literatur:
- (1)
Fares J et al. Sig Transduct Target Ther 2020;5(28). DOI: https://doi.org/10.1038/s41392-020-0134-x
- (2)
Gerstberger S et al. Cell 2023;186(8):1564-1579. DOI: 10.1016/j.cell.2023.03.003