Was Onkolog:innen als Vorbereitung auf den beruflichen Wiedereinstieg anbieten können
Rebecka HeinzDen Umgang mit Krebs im Businesskontext revolutionieren, das ist die Mission des Projekts #einevonacht. Ziel ist, dass Menschen lernen, über Krebs zu sprechen und gute Arbeitsbedingungen für alle Beteiligten zu schaffen. Denn nur wenn die Bedürfnisse und Interessen von Betroffenen, Führungskräften, Team-Mitgliedern und Arbeitgebenden gleichermaßen berücksichtigt werden, kann es ein wirklich nachhaltiges Miteinander geben. In diesem Artikel werden 5 Vorschläge gemacht, wofür Onkolog:innen die Patient:innen in Bezug auf das Arbeiten mit und nach Krebs sensibilisieren könnten.
Irgendwann ist er da, der letzte Tag der Primärtherapie. Der Tag, an dem wir unsere Therapiewelt verlassen. Der Tag, an dem wir zurückkatapultiert werden in die Welt der vermeintlichen Gesunden. Die Diagnose hat uns vielleicht kalt erwischt, hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen, hat uns körperlich und psychisch-emotional an den Rand gebracht. Aber wir wussten, dass wir medizinisch gut versorgt sind. Wir hatten Onkolog:innen, die uns durch die Therapie geleitet haben, die uns gesagt haben, wann wir wo hingehen müssen, was wir wann einnehmen müssen, was wir wann machen müssen, worauf wir achten müssen, was wir auf keinen Fall tun sollten. Wir hatten einen Therapieplan, wir hatten Termine, wir hatten eine klare Struktur, die unseren Alltag bestimmt hat. Alles war geregelt.
Dann hören wir diesen Satz: „Wir sehen uns in 3 Monaten zur Kontrolle.“ Und genau so schnell, wie wir in den medizinischen Kosmos hinein katapultiert wurden, genau so schnell werden wir gefühlt von jetzt auf gleich aus dem System gespuckt. Wir haben vielleicht noch Anschlusstherapien, Lymphdrainage, psychoonkologische Begleitung. Aber wir sind nicht mehr Teil beispielsweise der Chemo-Runde, die sich da regelmäßig getroffen hat, sehen nicht mehr das Praxis-Team, das uns motiviert und durch die Zeit geholfen hat. Wir sind wieder auf uns allein gestellt. Einige von uns können es kaum erwarten, wünschen sich nichts mehr, als wieder „normal“ zu sein. Sind froh, es „geschafft“ zu haben. „Ärmel hoch und los!“, „auf ins neue Leben“. Andere sind komplett überfordert, schwimmen, wissen nicht, wie sie Fuß fassen sollen in ihrem neuen, alten Leben, wissen nicht, wie sie weitermachen sollen.
Das Problem ist: Dieser neue Alltag ist manchmal scheinbar nicht enden wollendes Neuland. Mit vielen Fragezeichen und Unsicherheiten. Wir haben einen Höllenritt hinter uns. Und sind irgendwie noch mittendrin. Und gleichzeitig wissen wir, dass der nächste Schritt irgendwann wieder heißen wird: Ab zur Arbeit. Und während wir vielleicht während der Therapie das Gefühl hatten, mit anderen Betroffenen in einem Boot zu sitzen, merken wir spätestens jetzt, dass wir allein auf hoher See unterwegs sind. Wir haben alle unseren eigenen Alltag. Unsere Körper reagieren unterschiedlich auf die Therapien, wir haben alle andere Spät- und Langzeitfolgen, mal mehr, mal weniger intensiv. Wir haben alle andere Jobs, andere Anforderungen, ein anderes Umfeld, andere Möglichkeiten, Ideen, Wünsche, Ziele. Ganz gleich, wie gut wir mit anderen im Austausch sind, ganz egal, wie gut unser Beratungsnetzwerk ist – letztlich kann uns niemand bei der Beantwortung von Fragen wie diesen hier die Entscheidung abnehmen:
Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Wiedereinstieg?
Wie viel Zeit brauche ich für die Erholung? Wie lange mache ich eine Pause? Bin ich schon fit genug? Oder sollte ich mich lieber noch etwas ausruhen?
Kann ich den gleichen Job machen wie vorher? Kann ich das alles überhaupt noch so „wuppen“ wie vorher?
Möchte ich überhaupt zurück in den alten Job? Mit dem gleichen Pensum wie vorher? Oder möchte ich vielleicht was ganz anderes machen?
Wie kriege ich das mit den Kontrollterminen hin, wenn ich wieder meinen normalen Arbeitsrhythmus habe? Wenn ich wieder diese ganzen Termine habe?
Was mache ich, wenn ich merke, dass ich es doch nicht schaffe?
Die Antworten auf diese Fragen können nur wir selbst uns geben. Nur wir selbst wissen, was wir können, brauchen, wollen, müssen. Aber wie sollen wir das wissen, wenn alles neu ist? Onkolog:innen können keine Berufsberatung übernehmen, dafür reicht die Zeit nicht und das ist auch nicht die Aufgabe. Aber sie sind das Bindeglied zwischen medizinischem Kosmos und privatem Alltag und können ihre Patient:innen dabei unterstützen, die Weichen richtig zu stellen.
Hier sind 5 Vorschläge, wofür Onkolog:innen die Patient:innen in Bezug auf das Arbeiten mit und nach Krebs sensibilisieren könnten.
1. Man muss bereits ab der Diagnose die Arbeitswelt mit in den Blick nehmen.
Denn die erste Entscheidung, die berufstätige Betroffene fällen müssen, und bei der ihnen niemand helfen kann, bei der ihnen niemand die Verantwortung abnehmen kann und die weitreichende Konsequenzen für die eigene Karriere haben kann, ist diese hier: Sag ich’s?
3 Beispiele:
Eine 40-jährige Führungskraft hat Brustkrebs. Ihr Unternehmen gibt sich nach außen hin als inklusiv. Sie hat aber in der Vergangenheit oft beobachtet, dass Krankheit als Schwäche ausgelegt wird und befürchtet, dass sie aufgrund ihrer Diagnose ebenfalls aufs Abstellgleis verfrachtet wird und ihre Leistung in Frage gestellt wird. Sagt sie es?
Eine Junior-Projektmanagerin, Anfang 30, hat Leukämie. In ihrem Unternehmen gibt es viele kleine Grüppchen, ansonsten herrscht eine eher unpersönliche Atmosphäre. Zu ihrer Führungskraft hat sie keinen guten Draht und sie fragt sich, welche Konsequenzen das Outing für ihre berufliche Karriere haben könnte. Sagt sie es?
Ein 50-Jähriger hat Hodenkrebs. In seinem Unternehmen gibt es einen fast freundschaftlichen Umgang unter den Kolleg:innen, aber gleichzeitig herrscht enormer Leistungsdruck. Die Diagnose hat ihn kalt erwischt und völlig aus der Bahn geworfen. Er hat Angst um sein Leben und weiß, dass er psychisch und körperlich gerade nicht in der Lage ist, die volle Leistung zu erbringen. Sagt er es?
Bei #einevonacht empfehlen wir immer die Website www.sag-ichs.de, die Betroffenen wissenschaftlich fundiert hilft, die entscheidenden Faktoren individuell abzuwägen.
2. Angst, Unwissenheit, Diskriminierung, Stigmatisierung
Es gibt nicht viele Sätze, die so schlagartig für Stille sorgen wie dieser hier: „Ich habe Krebs.“ Ein Schock-Moment, gefolgt von Unsicherheit, Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, Ohnmacht – und dem Impuls, jetzt schnell reagieren zu müssen und dabei ja nichts Falsches zu sagen. Aber was sagt man in so einer Situation? Was ist richtig? Was ist angemessen? Was ist total daneben?
Menschen haben Angst vor Krebs. Und Betroffene müssen die Reaktionen ihres Umfelds aushalten, beruflich und privat. Herz-Kreislauf-Erkrankungen mögen Todesursache Nummer 1 sein. In der Wahrnehmung ist Krebs die schlimmste Krankheit. Krebs steht für Kontrollverlust. Krebs steht für Leid und Sterben. Krebs steht für das Ende. Und Krebs hat das Image von 1980. Dass die Therapien immer besser werden, dass die Heilungschancen immer besser werden, das blenden viele aus. Kombiniert wird diese Angst mit einer großen Unsicherheit und Unwissenheit. Krebs ist nach wie vor ein Tabu-Thema. Die Folge: Viele sind verunsichert und wissen nicht, wie sie reagieren können und sollen. Und im Affekt sagen sie Dinge wie „Kopf hoch, das wird schon wieder.“ Diese Floskeln und Emotionen der anderen müssen Betroffene aushalten. Und dürfen sich davon nicht verunsichern lassen. Wir haben nicht gelernt, über Krebs zu sprechen und die entscheidenden Fragen zu stellen. Hier sind Betroffene gefragt und müssen im Zweifelsfall selbst dafür sorgen, dass die für sie wichtigen Punkte thematisiert werden. Was heißt es, wenn jemand Krebs hat? Was bedeutet die Diagnose? Wie sieht die Behandlung aus? Fällt die Person monatelang aus? Oder arbeitet sie zwischendurch? Kann sie danach so arbeiten wie vorher? Was bedeutet die Krankheit ganz konkret für die jeweilige Person?
Wir müssen lernen, über Krebs zu sprechen. Dann wird es für alle Beteiligten leichter.
Infobox
Für einen neuen Umgang mit Krebs im Arbeitskontext bietet #einevonacht zahlreiche Hilfsangebote:
Weitere Informationen finden Sie unter www.eine-von-acht.de.
3. Jeder ist anders. Es kann keine pauschale Anleitung für das Arbeiten mit und nach Krebs geben, die für alle passt.
Es gibt Menschen, die tatsächlich viele Monate wegen der Behandlung nicht arbeitsfähig sind. Andere können und wollen während der Behandlungsphase weiterarbeiten. Es gibt Menschen, die noch viele Jahre nach der Akuttherapie wegen etwaiger Anschlusstherapien Nebenwirkungen haben, oder bei denen in Folge der Operation neue Komplikationen auftreten. Andere brauchen vielleicht nach der Therapie eine Pause, sind dann aber wieder arbeits- und leistungsfähig, vielleicht sogar wie früher. Betroffene müssen ihren eigenen Weg suchen, finden und gehen. Und ausprobieren, was für sie funktioniert, wie man weitermachen kann und will, wie man den Wiedereinstieg in den Job und vor allen Dingen in das neue Arbeitsleben gestalten will. Und das kann ganz schön anstrengend sein.
4. Betriebliches Eingliederungsmanagement reicht nicht aus.
Es gibt für die Phase des Wiedereinstiegs gesetzlich geregelte Prozesse, die Arbeitnehmende beim Wiedereinstieg in den Job unterstützen: Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM). Die bekannteste Maßnahme ist ein Einstieg nach dem Hamburger Modell, ein stufenweiser Wiedereinstieg, bei dem die Arbeitszeit sukzessive hochgesetzt wird. Von wenigen Stunden am Tag bis zum vertraglich geregelten Pensum. Das Problem: Für eine langfristig erfolgreiche Re-Integration fängt das BEM zu spät an, endet zu früh und greift zu kurz. Die Herausforderungen im Alltag bleiben – auch nach dem BEM. Denn die Langzeit- und Spätfolgen hören für die Betroffenen nicht auf, nur weil ein offizielles Wiedereingliederungsverfahren durchgeführt und vielleicht „erfolgreich“ beendet wurde. Gesundheitsmanagement (von Kontrollterminen bei Ärzt:innen bis hin zu Prävention und Vorsorge) muss als eine Form von Arbeit verstanden werden, die zusätzlich zur Lohnarbeit im Alltag untergebracht werden muss.
5. Es gibt für den kompletten Bereich Arbeiten mit und nach Krebs eine große Versorgungslücke.
Es gibt Kurse für Stressmanagement, Atemtraining, Yoga. Es gibt Kurse für Ernährung, positives Denken, Bewegung. Aber es gibt kaum Angebote, die Betroffene wirklich langfristig beim Arbeiten mit und nach Krebs unterstützen und ihnen in den verschiedenen Phasen – vom Moment der Diagnose bis Jahre nach dem Wiedereinstieg – helfen, eigenverantwortlich Antworten auf die für sie wichtigen Fragen zu finden und entsprechend zu handeln. Eine erste Beratung im Reha-Kontext ist sicherlich hilfreich. Es gibt Berufslots:innen. Es gibt Kliniken, die mit den Themen der Arbeitswelt vertraut sind. Aber auch hier gilt: Nach der Reha sind die Betroffenen auf sich allein gestellt, müssen allein zurück in ihre alte Umgebung, müssen alleine die Gespräche mit ihren Arbeitgebenden führen, müssen alleine im Arbeitsalltag mit den Spät- und Langzeitfolgen klarkommen. Dabei liegt auf der Hand, dass die Investition sich volkswirtschaftlich lohnen würde. Weil fundierte, langfristig angelegte Maßnahmen dafür sorgen würden, dass Menschen mit und nach schweren Krankheiten – und das gilt nicht nur für Krebs – langfristig arbeitsfähig bleiben und nicht ausfallen. Das entlastet Krankenkassen und Rentenversicherungen. Und solange es keine flächendeckenden Angebote gibt, müssen Betroffene selbst das Steuer in die Hand nehmen. Hoffentlich mit der Unterstützung ihrer Onkolog:innen.
Es besteht kein Interessenkonflikt.