Krebsforscherin und Patientenstimme
Cindy KörnerDer 44. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS) in Stuttgart stand unter dem Motto „Vielfalt“; sehr passend für das interdisziplinäre Feld der Senologie. Für mich besonders erfreulich: Auch Patientenvertreterinnen waren ausgesprochen zahlreich vertreten und an vielen Sitzungen als Funktionstragende im wissenschaftlichen Programm involviert – ein starkes Zeichen für einen offenen Austausch auf Augenhöhe zwischen Behandelnden und Betroffenen, wie Co-Kongresspräsidentin Prof. Dr. Nina Ditsch betonte. Zusätzlich unterstrichen wurde dies durch die Verleihung der DGS-Ehrenmitgliedschaft an die langjährige, vielseitig engagierte Patientenvertreterin Eva Schumacher-Wulff. Die emotionale Laudatio hielt Prof. Dr. Andreas Schneeweiss, der (übrigens als erster Nicht-Gynäkologe) zum Vorsitzenden der DGS gewählt wurde.
Cindy Körner, Heidelberg
Patientenstimme trägt zur Vielfalt in der DGS bei
Die wachsende Bedeutung der Patientenbeteiligung wurde auch dadurch bekräftigt, dass erstmals eine ganze Session dazu stattfand, unter dem Vorsitz zweier Patientinnen. Hier stellte unter anderem Ulla Ohlms die PATH Biobank als Patienten-getriebene Forschungsressource vor. Für alle, denen die vielseitigen Chancen der Patientenbeteiligung noch nicht bewusst waren, schilderte Verena Thewes vom NCT Heidelberg die möglichen Beiträge von Patientenvertretenden von der Grundlagenforschung bis hin zur klinischen Studie anhand von praktischen Beispielen. Ihr persönliches Fazit: die individuellen Expertisen und Fähigkeiten der Patientenvertretenden können Forschungsprojekte auf allen Ebenen bereichern – und da bin ich absolut ihrer Meinung.
Vom Neuland zur Chance – Digitalisierung gewinnt an Bedeutung
Ein wiederkehrendes Thema war die Digitalisierung sowie die Chancen und aktuellen Hindernisse der technischen Entwicklungen. In einer eigenen Session wurden Beispiele dafür aufgezeigt, wie die Nutzung digitaler Formate die Fortbildung und Vernetzung revolutioniert haben. Zudem betonte die Patientenvertreterin Nadja Will, wie wichtig es sei, verschiedene Kanäle für die Bereitstellung verlässlicher Informationen zu nutzen, um so unterschiedliche Bedürfnisse abzudecken und Patient:innen bestmöglich mitzunehmen. Wissen ist Macht, und informierte Patien:tinnen haben bessere Chancen, die für sich richtige Behandlung zu finden und durchzuhalten.
Insbesondere Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) können als Chance für die Zukunft begriffen werden, da sie die evidenzbasierte, qualitativ hochwertige Begleitung und Unterstützung von Patient:innen gewährleisten und gleichzeitig eine Entlastung des medizinischen Personals ermöglichen. Digitale Lösungen sind also schon lange kein Neuland mehr in der Senologie; aber es ist auch noch lange nicht alles perfekt. So scheitert beispielsweise der flächendeckende Einsatz von iPads zur Informationsvermittlung im Wartebereich in manchen Kliniken an Hygienevorgaben. Gut, dass Printmedien da offenbar unbedenklicher sind?!
Auch jenseits der Digitalisierung und der ersten Auflage eines senologischen Science Slam hatte der Kongress einiges zu bieten. Sowohl als Wissenschaftlerin als auch als Patientenvertreterin konnte ich dabei einige Highlights und spannende Erkenntnisse mit nach Hause nehmen:
Personalisierte Therapie – ein konstanter Lernprozess
Für mich als Molekularbiologin wenig überraschend, aber in der medizinischen Routine bisher kaum beachtet, sind auf dem DGS vorgestellte Ergebnisse, wonach eine erneute Biopsie und molekulare Diagnostik nach Krankheitsprogress zu neuen Erkenntnissen führen kann. So unterscheiden sich häufig der Subtyp oder die relevanten Mutationen von der Ursprungsbiopsie, wodurch sich neue oder veränderte Therapieoptionen ergeben können. Von mir weniger erwartet war die Information, dass schon ein erneutes molekulares Tumorboard zum Zeitpunkt des Progresses basierend auf den vorliegenden Daten in vielen Fällen zu veränderten Therapievorschlägen aufgrund von Änderungen in der Studienlandschaft, der Verfügbarkeit von Therapeutika oder neuer Evidenz führte. Insgesamt erhielten in der vorgestellten Studie 91% der Patient:innen nach dem Progress andere Empfehlungen als im ersten Molekularen Tumorboard – ein klares Zeichen dafür, dass es nach Möglichkeit zur neuen Routine werden sollte, Therapieempfehlungen vor der Umstellung auf die nächste Linie erneut zu diskutieren – im Idealfall basierend auf neuer Molekulardiagnostik. Aktuell scheitert dieses Vorgehen noch an Ressourcenknappheit.
Neue Wege zu Deeskalation und angepasster Behandlung
Eines meiner persönlichen Highlights als Wissenschaftlerin war die kritische Diskussion von Chancen und Hürden der Nutzung von Liquid Biopsy Plattformen in verschiedenen Krankheitsstadien. Der Nachweis von Mutationen in ctDNA, also freier Tumor-DNA im Blut, gewinnt als nicht-invasive Methode der Therapieüberwachung zunehmend an Bedeutung. Konkret ermöglicht sie in der metastasierten Situation die Früerkennung möglicher Resistenzen, während der Nachweis von ctDNA bei frühem Brustkrebs im adjuvanten Setting prädiktiv ist. Patient:innen, bei denen nach der Operation keine ctDNA nachgewiesen werden kann, weisen in der Folge eine überaus gute Prognose auf. Perspektivisch bietet das womöglich die Möglichkeit einer Deeskalation der Therapie bei ctDNA-negativen Patient:innen mit paralleler Überwachung der ctDNA-Level. Aus meiner Sicht wäre das ein essenzieller Schritt hin zu personalisierter adjuvanter Therapie und eine einzigartige Möglichkeit zu datengetriebener Reduktion der derzeitigen Überbehandlung vieler Patientinnen.
Individualisierte Deeskalation war sowohl auf Ebene der Lymphknotenoperation als auch auf Ebene der Bestrahlung ein vielbesprochenes Thema. Wichtig war den Vortragenden dabei insbesondere, dass solche Deeskalationsmaßnahmen nur Schritt für Schritt und mit Augenmaß umgesetzt werden sollten. Aus meiner Sicht als Patientenvertreterin ergibt sich hieraus auch das klare Mandat an die Ärzt:innen, dass die Verfügbarkeit gleichwertiger Optionen auch in zunehmendem Maße eine partizipative Entscheidungsfindung basierend auf den individuellen Wünschen und Präferenzen der Patient:innen – ein Shared Decision Making – erforderlich machen. Wer außer der Patientin nach adäquater Nutzen-Risiko-Aufklärung könnte entscheiden, ob sie eher auf die Bestrahlung oder die Sentinel-Lymphknoten-Biopsie verzichten möchte?
Shared Decision Making – zwischen Theorie und Realität
Als Co-Vorsitzende einer Sitzung zur Brustrekonstruktion mit Eigengewebe habe ich als Betroffene viel über die OP-Techniken gelernt. Ich konnte anhand eindrucksvoller, teilweise sehr blutiger OP-Videos sehen, dass jede Klinik eine etwas andere Herangehensweise hat. Allerdings war für mich bemerkenswert, dass kaum Bezug zu den Patientinnen hergestellt wurde. Die langfristigen Outcomes auf kosmetischer und funktioneller Ebene kamen ebenso wie die Aufklärungsgespräche kaum zur Sprache. Auf meine Nachfrage wurde versichert, dass Aufklärungsgespräche mit der Prämisse „Keine OP ist die beste OP“ geführt würden, und dementsprechend auch die Option „Keine Rekonstruktion“, also ein ästhetischer flacher Verschluss, zur Sprache käme. Leider deckt sich das nicht mit meiner Erfahrung und auch nicht damit, was mir andere Betroffene erzählen. Ich hoffe, ich konnte ein paar Gedanken dazu anregen.
Die Session zu forensischen Aspekten in der Senologie half mir zu verstehen, welche Gedanken und Sorgen Ärzt:innen im Hintergrund von Aufklärungsgesprächen und der Durchführung von Therapien im Kopf haben müssen. Es wurde mehrfach die Notwendigkeit einer klaren, vollständigen und nachvollziehbaren Dokumentation betont und hervorgehoben, dass eine individualisierte, adäquate Aufklärung ein wichtiger Bestandteil einer guten, sicheren Behandlung ist. Hierbei fiel auch der Satz: „Der Tumorboard-Beschluss ist keine Indikation.“ Das sollte deutlich machen, dass ungeachtet der Empfehlung des Expertengremiums die Verantwortung für eine Therapie bei der Ärztin oder dem Arzt liegt. In diesem Zusammenhang war es mir wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass Worte bei uns Patient:innen große Wirkung haben können: der sog. Tumorboard-„Beschluss“, der aus meiner Sicht eher eine „Empfehlung“ darstellt. Zur adäquaten Aufklärung gehört nämlich auch, Patient:innen den individuellen Nutzen und das mögliche Risiko von Behandlungsoptionen auch jenseits der Tumorboard-Empfehlung so verständlich zu machen, dass sie informiert entscheiden oder einwilligen können – Shared Decision Making also. Das stieß nicht überall auf Gegenliebe, denn es ist eine große Aufgabe. Als Hilfestellung hierfür entstehen aber gerade in verschiedenen Projekten wissenschaftlich fundierte Entscheidungshilfen, die in der Zukunft eine große Chance für ressourcenschonende, adäquate Aufklärung darstellen können, und wir Patientenvertretende sind gerne bereit, Lösungsansätze zu diskutieren.
Zwischen Aha-Momenten und Zukunftswünschen
Mein persönliches Fazit nach 3 intensiven Tagen mit viel Input und Erkenntnissen: Durch die zahlreichen parallelen Angebote hatte ich permanent das Gefühl, mehr verpasst als gesehen zu haben. Allerdings schmälert das nicht die vielen Aha-Momente und vor allem auch nicht die vielen wertvollen Begegnungen, die ich in und abseits der wissenschaftlichen Sessions hatte; zumal man die Inhalte auch nachträglich on demand schauen kann.
Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass die Patientenstimmen noch etwas lauter und systematischer gehört werden, um diese Perspektive im medizinisch dominierten Diskurs zu stärken und ihn so noch interdisziplinärer und vielfältiger zu gestalten. Denn am Ende profitieren davon alle Beteiligten.
Quelle:44. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Senologie e.V. (DGS), 26.-28.06.2025, Stuttgart