Vollständige Kostenübernahme für Tabakentwöhnung gefordert – eine Initiative der Hessischen Krebsgesellschaft e. V.
Prof. Dr. rer. nat. Catharina Maulbecker-ArmstrongDer Anteil der Raucher:innen in Deutschland ist mit ca. 30% hoch. Besonders bei jungen Menschen zeigt sich eine Trendumkehr. War ihre Anzahl in den vergangenen Jahren rückläufig, hat sich 2022 der Anteil tabakrauchender Jugendlicher (14-17 Jahre) von 8,7% auf 15,9% fast verdoppelt [1]. Rauchen und Passivrauchen sind der führende Grund vorzeitigen Versterbens mit jährlich über 120.000 Todesfällen. Rauchen verursacht mit über 95 Milliarden Euro Folgekosten von 15% der Gesundheitsausgaben, zuzüglich Opportunitätskosten durch Produktivitätseinbußen von ca. 2% des Bruttoinlandsprodukts. Investitionen in die Rauchentwöhnung sind wegen dieser immensen Folgekosten eine kosteneffiziente Maßnahme [2-4]. Dieser Beitrag beleuchtet Möglichkeiten der Tabakentwöhnung.
Prävention bietet die beste Chance, direkte und indirekte Kosten zu reduzieren. Besonders wirkungsvoll ist die professionelle Tabakentwöhnung. Durch die starke gesellschaftliche Akzeptanz des Nikotingenusses und den starken Einfluss der Tabakindustrie ist eine durchgreifende Prävention in Deutschland aber kaum etabliert. Auf der Tobacco Control Scale belegt Deutschland im europäischen Vergleich den viertletzten Platz [5-7]. Nur 12,5% nutzen evidenzbasierte Methoden zum Rauchstopp, gleichzeitig gibt es weniger Rauchstoppversuche [1]. Zudem wird seit Jahren erstmalig ein Anstieg der Rauchprävalenz gesehen. Insbesondere bei Jugendlichen ist ein Anstieg des E-Zigarettenkonsums zu beobachten. Bei Schülerinnen und Schülern der Klassen 5-10 betrug die Lebenszeitprävalenz des Rauchens von Tabakzigaretten 19%, von E-Zigaretten 24% und beim kombinierten Konsum 19% [8]. Abbildung 1 zeigt die schädlichen Auswirkungen des Rauchens und Dampfens auf.
Abb. 1: Schädliche Auswirkungen des Rauchens und Dampfens (mod. nach [21]).
60-70% aller Raucher:innen möchten Tabakkonsum beenden
Größtes Hindernis der breiten Etablierung von Tabakentwöhnung ist die fehlende Kostenerstattung fast aller Ansätze. Ein Ausbau evidenzbasierter Tabakentwöhnung wird die Rauchprävalenz, die konsekutive Morbidität und die damit assoziierten Kosten nachhaltig reduzieren. Es ist gesichert, dass Rauchstopp nicht nur zu einer Verbesserung der Symptomatik und Prognose, sondern auch der psychischen und somatischen Lebensqualität und damit relevanter patientenorientierter Endpunkte führt. 60-70% aller Rauchenden haben den Wunsch, den Konsum zu beenden [9, 10].
Ziel: Konsum von Tabakprodukten und E-Zigaretten drastisch reduzieren
Im Jahr 2040 sollen in Deutschland weniger als 5% der Erwachsenen und weniger als 2% der Jugendlichen Tabakprodukte oder E-Zigaretten konsumieren. Mit dem 10-Punkte-Plan des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. und weiterer Organisationen soll Deutschland Anschluss an Länder bekommen, die eine tabakfreie Gesellschaft fordern, wie Neuseeland, Finnland und die Europäische Union, und bereits Maßnahmen eingeführt haben [11, 12]. Rauchen und Konsum von Tabakerhitzern, E-Zigaretten und verwandten Produkten sollten als Suchterkrankung anerkannt und die Umsetzung der S3-Leitlinie „Rauchen und Tabakabhängigkeit“ sollte in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden. So könnten notwendige Behandlungen wie z.B. die Verordnung von Medikamenten zur Tabakentwöhnung durch die Krankenkassen erstattet werden [10].
Tabakentwöhnung als zentrale Rolle nach Krebsdiagnose
Rauchen ist mit Abstand der wesentliche Risikofaktor für onkologische Erkrankungen und ist auch nach einer Krebsdiagnose schädlich. Im Bericht des US Surgeon General wird geschätzt, dass die Mortalität um 30-40% sinkt, wenn nach der Krebsdiagnose der Tabakkonsum beendet wird [13]. Im aktuellen Europe’s Beating Cancer Plan hat die Tabakentwöhnung eine zentrale Rolle. Sehr gute Daten gibt es bei Patient:innen mit Lungenkarzinom. Hier führt der Rauchstopp zu reduzierter Mortalität, besserer Lebensqualität und einem besseren Performance-Status [14]. Die medikamentöse Tabakentwöhnung ist auch unter laufender Chemotherapie des Lungenkarzinoms gut verträglich und effektiv und auch bei anderen Krebserkrankungen signifikant überlegen [15, 16].
Medikamentöse Unterstützung der Tabakentwöhnung
In deutschen Gesundheitseinrichtungen rauchen 35% der ambulanten und 36% der stationären Patient:innen [17]. Beginnt die Tabakentwöhnung während eines Klinikaufenthalts, bietet dies den Vorteil des „teachable moment“, da viele Patient:innen wegen tabakassoziierter Erkrankungen behandelt werden. Die Wirksamkeit der Tabakentwöhnung über einen Monat ist durch eine Cochrane Metaanalyse und nachfolgende Studien gut belegt [17]. Die medikamentöse Unterstützung ist dabei ein zentraler Bestandteil. Eine proaktive Anbindung an ein Entwöhnungsprogramm durch Pflegepersonal ist nach einer aktuellen Metaanalyse wirksam [18]. Die zeitnahe Weiterbetreuung nach der Entlassung in ein ambulantes Angebot ist essenziell [17]. Aktuell wird eine Kostenerstattung der stationär begonnenen Tabakentwöhnung durch Qualitätsverträge möglich.
Die ABC-Methode hat bei der Ansprache von Patient:innen den Vorteil, besonders einfach, schnell und unabhängig vom Konsultationsanlass in nahezu jedes Arzt-Patienten-Gespräch integrierbar zu sein [19].
Es gibt lediglich 3 Schritte:
Ask: Abfragen des Rauchstatus
Brief advice: kurze individuelle und motivierende Empfehlung zum Rauchstop
Cessation support: Unterstützung beim Aufhörwunsch bzw. Weiterleitung (s.o.)
Rauchprävention und Raucherentwöhnung unterstützen
Tabakentwöhnung ist nach exzellenter Evidenz aus Metaanalysen und Leitlinien eine der effektivsten medizinischen Maßnahmen, die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Belastungen zu reduzieren. Die präventiven Aufklärungsprogramme sollten bereits in den Schulen begonnen werden. Rauchenden muss in Deutschland die Möglichkeit gegeben werden, an dieser Maßnahme ohne Einschränkung zu partizipieren. Eine Übernahme aller Kosten durch die Krankenkassen ist zentral, da nachgewiesen wurde, dass die komplette Finanzierung der Tabakentwöhnung die Erfolgsrate um 77% verbessert [20]. Tabelle 1 zeigt die Erfolgsraten verschiedener Interventionen zur Entwöhnung nach mindestens 6 Monaten [21]. Rauchen ist ein wesentlicher Risikofaktor für onkologische Erkrankungen. Darum ist es der Hessischen Krebsgesellschaft e.V. ein großes Anliegen, die Rauchprävention sowie die Raucherentwöhnung zu unterstützen, um Krebserkrankungen zu vermeiden.
Tab. 1: Erfolgsraten verschiedener Interventionen zur Tabakentwöhnung nach mindestens 6 Monaten (mod. nach [21]).
Nachdruck aus dem Hessischen Ärzteblatt 05/2024, S. 290f., frei abrufbar unter www.laekh.de.
Prof. Dr. rer. nat. Catharina Maulbecker-Armstrong
Literatur:
- (1)
Kotz D. DEBRA study – Deutsche Befragung zum Rauchverhalten;2023+00:00 [Stand: 08.03.2024.980Z]. Verfügbar unter: https://www.debra-study.info/. (DEBRA Studie, https://www.debra-study.info/).
- (2)
Starker A, Kuhnert R, Hoebel J, Richter A. Rauchverhalten und Passivrauchbelastung Erwachsener – Ergebnisse aus GEDA 2019/2020-EHIS 2022. doi: 10.25646/10290.
- (3)
Schalller K, Kahnert S, Graen L, Mons U, Ouédraogo N. Tabakatlas Deutschland 2020; [Stand: 08.03.2024]. https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/download/Publikationen/sonstVeroeffentlichungen/Tabakatlas-Deutschland-2020_dp.pdf.
- (4)
WHO report on the global tobacco epidemic, 2019: Offer help to quit tobacco use. Geneva, Switzerland: World Health Organization; 2019.
- (5)
Kurz C, Osterloh F. Prävention: Vorbeugen statt heilen; 2023 [Stand: 08.03.2024.629Z]. Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/229938/Praevention-Vorbeugen-statt-heilen.
- (6)
Global Center for Good Governance in Tobacco Control. Global Tobacco Industry Interference Index 2023 [Stand: 08.03.2024.964Z]. Verfügbar unter: https://globaltobaccoindex.org/
- (7)
Joossens L, Olefir L, Feliu A, Fernandez E. The Tobacco Control Scale 2021 in Europe. Verfügbar unter: https://www.tobaccocontrolscale.org/
- (8)
Hanewinkel R, Hansen J. Konsum von Tabakzigaretten, E-Zigaretten und Wasserpfeifen bei Kindern und Jugendlichen. Ergebnisse des Präventionsradars von 2016 bis 2023. Pneumologie 2023; 77(12):1001–8. doi: 10.1055/a-2146–7087.
- (9)
Ekpu VU, Brown AK. The Economic Impact of Smoking and of Reducing Smoking Prevalence: Review of Evidence. Tob Use Insights 2015; 8:1–35. doi: 10.4137/tui.S15628.
- (10)
Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung [Stand: 08.03.2024]. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/assets/guidelines/076–006l_S3_Rauchen-_Tabakabhaengigkeit-Screening-Diagnostik-Behandlung_2021–03.pdf.
- (11)
Graen L, Schaller K. Strategie fuer ein tabakfreies Deutschland 2040 [Stand: 08.03.2024]. Verfügbar unter: https://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/download/Publikationen/sonstVeroeffentlichungen/2021_Strategie-fuer-ein-tabakfreies-Deutschland-2040_dp.pdf.
- (12)
Hanewinkel R, Morgenstern M, Isensee B, Wiebel FJ. Rauchfreies Deutschland 2040: Ein Diskussionsbeitrag. Dtsch Med Wochenschr 2020; 145(18):e101-e107. doi: 10.1055/a-1162–3305.
- (13)
U.S. Department of Health and Human Services. Smoking Cessation: A Report of the Surgeon General; 2020 [Stand: 08.03.2024.256Z]. Verfügbar unter: https://www.cdc.gov/tobacco/sgr/2020-smoking-cessation/index.html.
- (14)
Andreas S, Rittmeyer A, Hinterthaner M, Huber RM. Smoking cessation in lung cancer-achievable and effective. Dtsch Arztebl Int 2013;110(43):719–24. doi: 10.3238/arztebl.2013.0719.
- (15)
Reinhardt C, Harden M, Herrmann-Lingen C, Rittmeyer A, Andreas S. Smoking cessation by combined medication and counselling: a feasibility study in lung cancer patients. BMC Pulm Med 2022;22(1):259. Verfügbar unter: https://bmcpulmmed.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12890–022–02048–1.
- (16)
Park ER, Perez GK, Regan S, Muzikansky A, Levy DE, Temel JS et al. Effect of Sustained Smoking Cessation Counseling and Provision of Medication vs Shorter-term Counseling and Medication Advice on Smoking Abstinence in Patients Recently Diagnosed With Cancer: A Randomized Clinical Trial. JAMA 2020; 324(14):1406–18. Verfügbar unter: https:// pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33048154/
- (17)
Raspe M, Bals R, Bölükbas S, Faber G, Krabbe B, Landmesser U et al. Tabakentwöhnung bei hospitalisierten Patienten:innen – Stationär einleiten, ambulant fortführen. Pneumologie 2023;77(6):341–349. doi: 10.1055/a-2071–8900.
- (18)
van Westen-Lagerweij NA, Hipple Walters BJ, Potyka F, Croes EA, Willemsen MC. Proactive Referral to Behavioral Smoking Cessation Programs by Healthcare Staff: A Systematic Review. Nicotine Tob Res 2023; 25(5):849–858. doi: 10.1093/ntr/ntac262.
- (19)
Kastaun S, Leve V, Hildebrandt J, Funke C, Klosterhalfen S, Lubisch D et al. Training general practitioners in the ABC versus 5As method of delivering stop-smoking advice: a pragmatic, two-arm cluster randomised controlled trial. ERJ Open Res 2021;7(3). doi: 10.1183/23120541.00621–2020.
- (20)
van den Brand, F. A., Nagelhout GE, Reda AA, Winkens B, Evers, S. M. A. A., Kotz D et al. Healthcare financing systems for increasing the use of tobacco dependence treatment. Cochrane Database Syst Rev 2017;9(9):CD004305. doi: 10.1002/14651858.CD004305.pub5.
- (21)
Hanewinkel R. Gesundheitsrisiken der E-Zigarette. MMW Fortschr Med 2023; 165(3):62–63. doi: 10.1007/s15006–023–2.