Journal Onkologie
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Nach langem Ringen hat das Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG) im Oktober das Kabinett passiert. Vorgesehen sind 61 Leistungsgruppen, die den Krankenhäusern zugewiesen werden und mit denen eine bessere Qualität in der Patientenversorgung erreicht werden soll. Die Zuordnung der Leistungsgruppen erfolgt durch die Bundesländer nach bestimmten Kriterien, wie die Anzahl von Fachärzt:innen und die Ausstattung mit medizinischen Geräten.

Ein Leistungsgruppenausschuss überprüft fortlaufend die Qualitätskriterien für die Leistung von Krankenhäusern und gibt Empfehlungen ab. Damit soll sichergestellt werden, dass der aktuelle Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt wird. Vorbild der Bundesreform war die neue Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen.

Definitionsfehler könnten Versorgung zurückwerfen

Gezielte Kritik an der Definition der Leistungsgruppen übt die DGHO. Konkret geht es um die Definition der Leistungsgruppe 8, „Stammzelltransplantation“, und 9, „Leukämie und Lymphome“. Die Fachgesellschaft bemängelt, dass in der Leistungsgruppe 8 innovative Therapien wie CAR-T-Zellen fehlen. Diese würden aber inzwischen eine Alternative zur Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation darstellen.

Gemeint sind auch Formen der Gentherapie, wie sie jetzt in Deutschland für Patient:innen mit Thalassämie und Sichelzellkrankheit zur Verfügung stehen. Deshalb müsse die Definition der Leistungsgruppe 8 nicht nur Stammzelltransplantationen umfassen, sondern „alle Formen der zellulären Therapien“, fordert die DGHO. Damit soll der Blick in die Zukunft gelenkt werden: CAR-T-Zellen gehören zu den Advanced Therapy Medicinal Products (ATMPs). Diese neuartigen Behandlungsmethoden umfassen Gentherapeutika, somatische Zell-Therapeutika sowie gentechnisch bearbeitete Gewebeprodukte und werden derzeit weltweit in mehr als 1.000 klinischen Studien untersucht.

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CAR-T-Zell-Therapien auf dem Vormarsch

„Hämatologie und Onkologie haben sich in den Therapieformen seit 2017 substanziell geändert“, erläuterte der medizinische Leiter der DGHO, Prof. Dr. Bernhard Wörmann. „Wir haben einen Teil der Stammzelltransplantation heute ersetzt durch gezieltere Therapien. Wir machen sogar bei bestimmten Krankheitsgruppen, wie beim ers­ten Rückfall aggressiver Lymphome, keine autologen Stammzelltransplantationen mehr, sondern wenden die CAR-T-Zell-Therapien an, mit denen wir bessere Ergebnisse erzielen.“ Zwar sei es nachvollziehbar, dass es organisatorisch einfacher ist, ein Modell zu übernehmen, das im groben Leistungszuschnitt auch quantifiziert werden könne. „Aber es geht in unserem Fachgebiet nicht, dass wir bestimmte Standardtherapien nicht aufnehmen“, monierte Wörmann.

Auch wenn in der Onkologie in den vergangenen 10 Jahren mit rund 200 neuen Medikamenten der Innovationssprung besonders groß war, und dieser nicht vollständig in den Leistungsgruppen abgebildet werden kann, hätte dies berücksichtigt werden müssen: „Eine Krankenhausreform darf unserer Auffassung nach nicht so aussehen, dass der Standard von 2017 auch 2025 funktionieren muss. Wir möchten keine neue Leistungsgruppe, aber wir möchten die Definition der Leistungsgruppe mit den darin enthaltenen Leistungen an das anpassen, was wir heute tun.“

Für PD Dr. Minna Voigtländer, die stellvertretende medizinische Leiterin der DGHO, ist die korrekte Zuordnung der CAR-T-Zell-Therapien auch aus Qualitätsgründen zentral. „Unsere Argumentation ist, dass CAR-T-Zell-Therapien in der Leistungsgruppe 8 inhaltlich den zellulären Therapien zugeordnet werden müssen: „Denn Ziel der Krankenhausreform ist es, qualitativ besonders anspruchsvolle Behandlungsverfahren zu bündeln und an spezialisierten Zentren zu konzentrieren. Vor diesem Hintergrund sollten CAR-T-Zell-Therapien genauso wie Stammzelltransplantationen an Zentren für zelluläre Therapien durchgeführt werden.“ Dies sei auch für die Berechnung der Mindestmengen relevant, betonte Voigtländer. „Denn das Problem bleibt: Wenn wir zum Beispiel weniger allogene Stammzelltransplantationen machen, aber die Mindestmengen noch danach berechnet werden, und zugleich viele CAR-T-Zell-Therapien durchgeführt werden, wären die Zentrumskriterien auf einmal nicht mehr erfüllt.“ Das wäre die falsche Richtung: „Das heißt, wir wollen auch, dass die Qualität auf das berechnet wird, was wirklich getan wird.“

Leistungsgruppe 9 zu eng gefasst

Auch die Leistungsgruppe 9 „Leukämie und Lymphome“ ist der DGHO zufolge zu eng gefasst. Dadurch werden Patient:innen mit komplexen Krebserkrankungen, die stationär in Abteilungen für Hämatologie und Onkologie versorgt werden müssen, nicht ausreichend berücksichtigt. Die Definition der Leistungsgruppe 9 müsse deshalb um „Komplexe Hämatologie und medizinische Onkologie“ erweitert werden, um eine angemessene Versorgung dieser Patientengruppe sicherzustellen.

Leukämien und Lymphome machten zwar einen relevanten Anteil an Patient:innen in der Hämatologie und Onkologie im stationären Setting aus, berichtete Voigtländer. „Aber ein weiterer relevanter Anteil sind Patienten mit soliden Tumoren, die entweder aufgrund der komplexen Therapieprotokolle, Stichwort Hodentumor oder Weichgewebstumoren, oder aufgrund der therapieassoziierten Nebenwirkungen in den Kliniken für Hämatologie und medizinische Onkologie behandelt werden müssen.“ Sollte diese Versorgungsrealität in der Krankenhausreform nicht adäquat berücksichtigt werden, könnten sich nach Einschätzung der DGHO langfristig Auswirkungen auf die Versorgungsqualität ergeben.

Probleme sieht die Fachgesellschaft auch bei der strukturellen Verankerung der interdisziplinären Zusammenarbeit von chirurgisch- und internis­tisch-onkologischen Fächern. In den chirurgischen Leistungsgruppen mit vorwiegend onkologischen Krankheitsbildern wurde im KHAG die Integration der beiden Leistungsgruppen 8 und 9 aufgehoben. Diese sind aber auch für die Behandlung solider Tumoren wichtig. Zudem sei die interdisziplinäre Zusammenarbeit, insbesondere in den Tumorboards, ein entscheidender Faktor für die qualitativ hochwertige Versorgung von Krebspatient:innen. Auch eine Schwächung dieser Strukturen würde sich nachteilig auf die Versorgungsqualität auswirken.

Komplexe Tumorerkrankungen geraten aus dem Blickfeld

„Die Aufhebung der Leistungsgruppe „Leukämie und Lymphome“ und „Stammzelltransplantation“ als Mindestvoraussetzung oder Auswahlkriterium am Standort beziehungsweise als Ko­operationspartner für die chirurgischen Leistungsgruppen mit onkologischen Krankheitsbildern ist leider trotz unserer Kritik erfolgt“, erläuterte Voigtländer. Das beruhe letztlich auch auf der zu schmal gefassten Definition der Leistungsgruppe „Leukämie und Lymphome“. „Wenn diese umbenannt werden würde in „Komplexe Hämatologie und medizinische Onkologie“, dann wäre jedem bewusst, dass bei einer chirurgischen Leistungsgruppe, die sich insbesondere auf Tumorerkrankungen bezieht, auch die medizinischen Onkolog:innen gebraucht werden.“

Bei der nun festgelegten Definition für „Leukämie und Lymphome“ sei nicht nachvollziehbar, warum diese bei einem Rektumkarzinom oder bei einem Pankreaskarzinom Anwendung finden sollte. „Das ist aus unserer Sicht ein deutlicher Rückschritt, weil letztlich diese interdisziplinäre Zusammenarbeit, vor allem in den Tumorboards, ein großer Gewinn in der Onkologie in den letzten 2 Jahrzehnten gewesen ist“, sagte Voigtländer. Die zertifizierten Krebszentren mit struktureller interdisziplinärer Vernetzung seien Vorbild für die Krankenhausreform gewesen. „Wenn man diese strukturelle Verankerung von interdisziplinärer Onkologie nicht in der Krankenhausreform abbildet, dann konterkariert das für diese Patient:innen die eigentlichen Ziele der Reform.“

Neue Spielräume in den Ländern suchen

Die DGHO will sich weiter für Anpassungen bei den Leistungsgruppen einsetzen, kündigte Wörmann an. „Der Fortschritt hört ja nicht heute auf. Die nächsten Gentherapien sind bereits da, es wird jetzt die ersten CAR-T-Zellen für solide Tumoren geben. Das heißt, das Thema wird uns weiter begleiten, indem Zentren für zelluläre Therapien von den Kliniken für Hämatologie und medizinische Onkologie weiterentwickelt werden müssen.“ Die DGHO werde hierfür den weiteren Austausch mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und den Mitgliedern des Leistungsgruppenausschusses suchen. Dieser ist mit Vertretern aus Bund, Ländern und der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen besetzt.

Wörmann verwies noch auf eine andere Problematik. Um ein Onkologisches Zentrum vorhalten zu können, muss eine bestimmte Anzahl von Organzentren vorhanden sein, erläuterte er. „Wenn aber das alles einzeln in den Leistungsgruppen gedacht wird, gibt es Häuser, die z.B. das Rektum- oder das Ovarialkarzinom als Zentrum verlieren oder schon verloren haben. Dann werden aber nicht mehr die Zahlen der Organzentren erfüllt, um ein Onkologisches Zentrum zu sein. Darauf müssten auch die Bundesländer bei der Vergabe der Leistungsgruppen hingewiesen werden.“

Spielräume sollen deshalb auch bei den Gesundheitsministerien der Länder ausgelotet werden. Die Länder könnten zwar nicht eine Leistungsgruppe ändern, aber vielleicht deren Ausgestaltung, hoffte Wörmann. „Wir müssen auch darauf achten, dass in den Ländern die Versorgung onkologischer Patient:innen gut aufgestellt bleibt.“

Inga Pabst

Journalistin Gesundheitspolitik, Selbstständig

info@gesundheitsnotizen.de

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