Burnout als „Epidemie“ – Die emotionale Belastung in der Hämatologie
Antje Blum M.A.Auf dem EHA2025-Kongress wurde in der Session „The Emotional Burden of Hematology“ ein Thema beleuchtet, das lange im Schatten stand: die psychische Belastung von Hämatolog:innen und Pflegepersonal. Die Daten und Erfahrungsberichte zeigen deutlich: Burnout ist in der Hämatologie keine Ausnahme, sondern ein strukturelles Risiko – und längst eine stille Epidemie [1].
Burnout: Ein strukturelles Ungleichgewicht
Adela Perolla, Albanien, brachte es auf den Punkt: „Burnout ist nicht länger ein stilles Syndrom – es ist eine Epidemie.“ Besonders betroffen sind junge Hämatolog:innen, Frauen und jene, die in der direkten Patientenversorgung tätig sind. Die Ursachen liegen in einem Missverhältnis zwischen Anforderungen und Ressourcen – emotional, psychologisch und organisatorisch.
Hämatologie bedeutet nicht nur, Blutkrankheiten zu behandeln
Für die EHA Survey in 2024 wurden 7.890 Menschen aus dem Berufsfeld Hämatologie angefragt, von denen 1.843 an der Umfrage teilgenommen haben. Ergebnis: 50% der Befragten litten unter hohem Burnout-Level, mit Symptomen wie Depersonalisierung und reduzierter Leistungsfähigkeit. Frauen waren überproportional betroffen – nicht zuletzt durch die Doppelbelastung von Beruf und Familie sowie strukturelle Diskriminierung. Außerdem waren Berufsanfänger:innen stärker betroffen: Je niedriger das akademische Level, desto weniger Autonomie und Ansehen erfahren sie im Arbeitsalltag, dafür sind mehr Routinearbeiten zu erledigen.
Neurobiologie der Überforderung
Nicht nur Behandelnde, auch die Patient:innen und Angehörigen haben jeweils ihr eigenes Toleranzfenster, das im Kontext eines Krankenhauses per se schon verkleinert sei, so Perolla. Krankheitssymptome, Steroid-Therapie, ein anderer kultureller Hintergrund und viele weitere Faktoren stressen zusätzlich. So kann Angst sich z.B. als Aggression zeigen und wird von den Behandelnden möglicherweise fehlinterpretiert.
Fleur von der Valk, Amsterdam, erläuterte die neurobiologischen Mechanismen hinter der emotionalen Erschöpfung bei den Hämatolog:innen: Stress aktiviere das schnelle, automatische „System 1“ – etwa bei aggressivem oder ängstlichem Patientenverhalten steige auch beim Behandelnden die Herzrate. Erst das langsamere „System 2“ ermögliche eine bewusste, deeskalierende Reaktion. Dann sei da jedoch noch das verzögerte System: Große Emotionen müssten gepuffert werden. „Dann ist man aber schon zuhause, bis die verzögerte Antwort kommt.“ Ohne ausreichende Erholung schrumpfe das „Toleranzfenster“ – die Fähigkeit, empathisch zu reagieren, nehme ab. Die Folge: Zynismus, emotionale Distanz, Frustration [2].
Qualitative Studie: Schlafstörungen und Grübeln am Wochenende
Antonis Bozas, Griechenland, präsentierte eine qualitative Studie mit 30 griechischen Hämatolog:innen. Die Ergebnisse zeigen, wie tief die Arbeit emotional wirkt: Schlafstörungen, Grübeln am Wochenende darüber, wie es dem Patienten geht und ob man als Arzt/Ärztin alles richtig gemacht hat. Dazu komme eine emotionale Unerreichbarkeit für Familie und Freunde. Besonders belastend: der Umgang mit dem Tod – vor allem bei jungen Patient:innen, die „ihr Leben doch noch vor sich“ haben. “Viele Ärzt:innen entwickeln mit der Zeit Resilienz, doch der Weg dorthin ist lang und oft schmerzhaft“, so Bozas.
Compassion Fatigue vs. Compassion Satisfaction
Menschliches Leid und den Tod mitzuerleben, könne eine Compassion-Fatigue, also eine gewisse emotionale Abstumpfung mit sich bringen. Neben der Erschöpfung gebe es aber auch positive Erfahrungen: Dankbarkeit von Patient:innen, Einladungen zu Hochzeiten, Babyfotos, die Tatsache, wirksam helfen zu können – all das erzeuge eine „Compassion Satisfaction“. „Das, was der Hämatologie oder die Hämatologin hier zurückbekommen, ist sehr viel“, so Bozas. Entscheidend sei, wie gut es den Behandelnden gelingt, emotionale Grenzen zu setzen. Kommunikation außerhalb des Krankenhauses mit Patient:innen sollte beispielsweise tunlichst vermieden werden, um als Privatperson die emotionale Distanz zu wahren.
Institutionelle Verantwortung und individuelle Resilienz
Burnout ist kein individuelles Versagen, sondern Ausdruck struktureller Überforderung. Valk gab zu: „Wir mögen das Wort “Burnout„ nicht, es klingt, als wäre man nicht gut genug. Der Begriff „Compassion Fatigue“ ist hilfreicher, weil er nicht mit einem vermeintlichen persönlichen Scheitern assoziiert ist.“ Autonomie am Arbeitsplatz, gute Teamarbeit und institutionelle Unterstützung seien zentrale Hebel, um die psychische Gesundheit von Hämatolog:innen zu schützen.
Burnout unter Ärzt:innen und Pflegepersonal ist eine Epidemie und darf nicht länger ein Tabu sein
EHA 2025
Literatur:
- (1)
EHA 2025, 12.6.25,, Session 1: The Emotional Burden of Hematology: Navigating the Psychological Impact of Hematologic practice and research.
- (2)
Daniel Kahneman, „Schnelles Denken, langsames Denken“, Penguin Verlag.