Schnelle und präzise Hirntumor-Klassifizierung mit neuer KI-gestützter Diagnostik
Zwei neue Diagnoseverfahren aus Heidelberg versprechen Fortschritte in der präzisen und schnellen Klassifizierung von Hirntumoren: Während eine Methode bereits intraoperativ verwertbare molekulare Informationen liefert, verbessert eine KI-gestützte Analyse die Diagnostik bei sehr kleinen Gewebeproben.
Mit neuem Ansatz liegt molekulares Profil innerhalb von 24 Stunden vor
In der Tumordiagnostik rücken zunehmend molekulargenetische Merkmale in den Mittelpunkt. Insbesondere bei Hirntumoren spielen genetische und epigenetische Veränderungen heute eine zentrale Rolle für die präzise Einteilung in Tumorarten, -subtypen und -stadien. Die so gewonnene diagnostische Genauigkeit ermöglicht gezieltere therapeutische Entscheidungen, stellt jedoch auch neue Anforderungen: Moderne Analyseverfahren sind kostspielig, technisch anspruchsvoll und mit hohem Zeitaufwand verbunden. Der Bedarf an schnelleren, umfassenderen und gleichzeitig praktikablen Lösungen ist entsprechend hoch. Ein Team um Felix Sahm, Professor für Neuropathologie am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD), hat daher eine Plattform entwickelt, die auf diese Herausforderungen reagiert.
So ist die Auswertung von Tumorproben auf molekularer Ebene komplex und kann bislang bis zu zwei Wochen in Anspruch nehmen. Forschende aus Heidelberg und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) haben daher nun Analyseverfahren entwickelt, die diesen Prozess erheblich beschleunigen: Nach der Isolierung des Tumor-Erbguts ermöglicht ein Algorithmus bereits nach 30 Minuten eine erste Klassifizierung anhand genomischer Merkmale. Ein vollständiges molekulares Profil liegt innerhalb von 24 Stunden vor. Bei Vergleichsanalysen mit 78.000 archivierten Tumorproben aus internationalen Zentren erzielte die Methode eine Übereinstimmung von über 99% mit den dort eingesetzten Standardverfahren. In geplanten Folgestudien soll nun geprüft werden, ob sich der Ansatz auch im klinischen Alltag bewährt und sich möglicherweise weiter beschleunigen lässt.
Kern des neuen Ansatzes ist die sogenannte Nanopore-Sequenzierung – ein Verfahren, das genetische Informationen der Tumorzellen auf kompakten und vergleichsweise günstigen Geräten schnell analysieren kann. Die dabei gewonnenen Daten werden unmittelbar mit bekannten Tumorklassen abgeglichen, sodass perspektivisch bereits während eines operativen Eingriffs eine Einordnung möglich wäre. Das System wurde in Zusammenarbeit von Universität Heidelberg, UKHD, DKFZ und dem Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) entwickelt und getestet. Es kombiniert zwei Werkzeuge: den Schnelltest „Rapid-CNS2“, der 91 Tumorklassen unterscheidet, sowie „MNP-Flex“, ein Analysemodul zur Auswertung verschiedener Methoden, das innerhalb von 24 Stunden 184 Tumorunterklassen identifizieren kann. Zusammen liefern sie ein vollständiges diagnostisches Bild mit therapeutischer Relevanz [1].
KI-gestützte Tumordiagnostik bei geringen Gewebemengen
Neben der schnellen intraoperativen Analyse rückt auch die Diagnostik bei minimalem Tumormaterial in den Fokus. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Erlangen hat das Team von Prof. Sahm ein Verfahren weiterentwickelt, das bisher ausschließlich zu Forschungszwecken genutzt wurde. Die sogenannte „NeuroPathology Spatial Transcriptomic Analysis“ (NePSTA) analysiert einen einzelnen Gewebeschnitt aus dem Tumor punktgenau auf mehrere Tausend Krebsmarker gleichzeitig. Eine Künstliche Intelligenz verarbeitet die Daten und simuliert die Ergebnisse verschiedener etablierter Analyseverfahren in einem einzigen Schritt. Auf diese Weise lassen sich bereits aus kleinsten Proben umfangreiche Informationen gewinnen. Zudem ermöglicht die hohe räumliche Auflösung die Erkennung kleiner Zellgruppen mit besonders aggressivem Profil, die mit herkömmlichen Methoden häufig nicht erfasst werden, aber diagnostisch relevant sein können.
Gerade bei inoperablen Tumoren stellt die Gewinnung ausreichender Gewebemengen für die Standarddiagnostik eine große Herausforderung dar. Eine potenzielle Lösung bietet hier die räumlich aufgelöste Transkriptom-Analyse. Der Begriff „Transkriptom“ beschreibt die Gesamtheit aller Gene, die in einer Zelle zur Proteinproduktion abgelesen und als messenger-RNA (mRNA) zwischengespeichert werden. In Tumorzellen kann diese Analyse Hinweise darauf geben, welche Gene besonders aktiv oder abgeschaltet sind oder ob spezifische genetische Veränderungen vorliegen. Die Methode von Prof. Sahms Team basiert auf der Untersuchung eines paraffineingebetteten, wenige Mikrometer dicken Gewebeschnitts, der auf einen speziell beschichteten Objektträger aufgebracht wird. Dort befinden sich – rasterartig angeordnet – Bindestellen für mehrere Tausend krebsrelevante Genkopien, die bei Interaktion ein lokalisiertes Signal erzeugen.
Für die Validierung wurde der zugrunde liegende Algorithmus mit Daten von 130 Patient:innen mit Tumoren des zentralen Nervensystems aus vier medizinischen Zentren trainiert. In ersten Auswertungen erreichte NePSTA bereits eine Klassifizierungsgenauigkeit von knapp 90%. Vor einer breiten klinischen Anwendung muss das Verfahren jedoch noch in Studien auf seine Praxistauglichkeit geprüft werden [2].
Quelle:Universitätsklinikum Heidelberg
Literatur:
- (1)
Patel A et al. (2025) Prospective, multicenter validation of a platform for rapid molecular profiling of central nervous system tumors, Nature Medicine, DOI: 10.1038/s41591-025-03562-5
- (2)
Ritter M et al. (2025) Spatially resolved transcriptomics and graph-based deep learning improve accuracy of routine CNS tumor diagnostics. Nature Cancer, DOI: 10.1038/s43018-024-00904-z