Journal Onkologie
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Was ist eine Chemotherapie?

Die Chemotherapie ist eine zentrale Behandlungsform in der Onkologie, bei der Zytostatika eingesetzt werden, um das Wachstum und die Teilung von Krebszellen zu hemmen oder diese abzutöten. Da sich Krebszellen schneller teilen als gesunde Zellen, wirken die Medikamente vor allem auf Tumorzellen, können aber auch gesundes Gewebe beeinträchtigen [1].

Die Behandlung wird in Zyklen verabreicht, um die Wirksamkeit zu erhöhen und gesunde Zellen zwischen den Behandlungsintervallen regenerieren zu lassen [2]. Chemotherapie wird sowohl in der kurativen Therapie – mit dem Ziel der Heilung – als auch in der palliativen Therapie – zur Symptomkontrolle und Lebensverlängerung – eingesetzt [1].

In modernen Behandlungsprotokollen wird die Chemotherapie häufig mit zielgerichteten Substanzen oder Immuntherapien kombiniert, um die Wirksamkeit zu erhöhen und Nebenwirkungen zu reduzieren [2].

Wann wird eine Chemotherapie eingesetzt?

Die Chemotherapie wird in unterschiedlichen klinischen Situationen angewendet, abhängig vom Tumorstadium, der Tumorbiologie und den Behandlungszielen [1, 2]:

  • Kurative Therapie: Ziel ist die vollständige Heilung, z. B. bei lokal begrenzten Tumoren oder bestimmten hämatologischen Neoplasien.

  • Neoadjuvante Chemotherapie: Vor einer Operation, um Tumoren zu verkleinern und die Chance auf eine vollständige Resektion zu erhöhen.

  • Adjuvante Chemotherapie: Nach Operation oder Strahlentherapie, um mikroskopische Tumorreste zu eliminieren und das Risiko eines Rezidivs zu senken.

  • Palliative Chemotherapie: Bei fortgeschrittenen oder metastasierten Tumoren zur Symptomkontrolle, Lebensverlängerung und Verbesserung der Lebensqualität.

  • Kombinationstherapie: In Verbindung mit Strahlentherapie (Chemoradiotherapie) oder zielgerichteten Substanzen, um die Effektivität der Behandlung zu steigern.

Wie wird eine Chemotherapie verabreicht?

Die Wahl der Applikationsform hängt von der Erkrankung, der Medikamentenklasse und dem Therapieziel ab [1, 2]:

Gängige Applikationsformen

  • Intravenöse Chemotherapie (i.v.): Verabreichung über eine Vene, oft im Rahmen von Infusionen im Krankenhaus oder ambulanten Setting. Sie ist die häufigste Applikationsform und wird bei vielen soliden Tumoren und hämatologischen Neoplasien eingesetzt.

  • Orale Chemotherapie (p.o.): Einnahme von Tabletten oder Kapseln, z. B. bei bestimmten Zytostatika oder zielgerichteten Substanzen. Sie ermöglicht mehr Flexibilität, erfordert aber strenge Adhärenz und regelmäßige Laborkontrollen.

  • Kombinationstherapie: Kombination verschiedener Applikationsformen zur Optimierung der Wirksamkeit.

Seltener eingesetzte Formen

  • Subkutane Applikation (s.c.): Injektion unter die Haut, z. B. bei bestimmten Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten.

  • Intramuskuläre Applikation (i.m.): Heute selten, eher bei unterstützenden Therapien.

  • Intrathekale Chemotherapie: Direkte Applikation in den Liquorraum über die Wirbelsäule, vor allem bei ZNS-Beteiligung, z. B. bei akuter lymphatischer Leukämie.

  • Topische Applikation: Zytostatika in Form von Cremes, z. B. bei oberflächlichen Hautmalignomen.

Wie funktioniert eine Chemotherapie?

Chemotherapeutische Medikamente, sogenannte Zytostatika, greifen gezielt in den Zellzyklus ein. Da Krebszellen sich häufiger teilen als gesunde Zellen, sind sie besonders empfindlich gegenüber diesen Substanzen. Durch die Hemmung der Zellteilung werden Krebszellen am Wachstum gehindert und schließlich abgetötet [1, 2].

Ziel der Behandlung

  • Tumorzellen eliminieren oder kontrollieren: Zytostatika wirken entweder kurativ oder zur Krankheitskontrolle, je nach Tumorstadium.

  • Individuelle Anpassung: Moderne Chemotherapiekonzepte sind zunehmend personalisiert und werden auf die Tumorbiologie und den klinischen Zustand des Patienten abgestimmt.

Wirkmechanismus

  • Phasenspezifische Wirkung: Viele Zytostatika wirken nur in bestimmten Phasen des Zellzyklus, z. B. in der DNA-Synthesephase.

  • Unspezifische Zellschädigung: Da die Medikamente nicht zwischen Tumor- und gesunden, sich schnell teilenden Zellen unterscheiden, werden auch Zellen des Knochenmarks, der Haarfollikel oder der Schleimhäute geschädigt – was zu typischen Nebenwirkungen führt.

Abgrenzung zu anderen Therapien

Nicht alle onkologischen Medikamente sind klassische Zytostatika. Zielgerichtete Therapien, Hormontherapien und Immuntherapien wirken nach anderen Mechanismen, z. B. durch Blockade spezifischer Signalwege oder Aktivierung des Immunsystems.

Welche verschiedenen Chemotherapeutika gibt es?

Chemotherapeutische Substanzen lassen sich nach ihrem Wirkmechanismus und ihrer chemischen Struktur in verschiedene Klassen einteilen. Manche Substanzen gehören mehreren Gruppen an, da sie auf unterschiedliche Weise wirken [1, 2].

1. Alkylierende Substanzen

  • Wirkung: Schädigung der DNA durch kovalente Bindungen, wodurch Zellteilung und Tumorwachstum gestoppt werden.

  • Indikationen: Häufig bei Leukämien, Lymphomen, Mammakarzinom, Ovarialkarzinom, Sarkomen und anderen soliden Tumoren.

  • Beispiele: Cisplatin, Cyclophosphamid, Melphalan.

  • Besonderheit: Dosisabhängiges Risiko für Therapie-assoziierte Leukämien.

2. Antimetabolite

  • Wirkung: Blockieren DNA- und RNA-Synthese, indem sie als falsche Bausteine in den Stoffwechsel eingebaut werden.

  • Indikationen: Leukämien, kolorektales Karzinom, Mammakarzinom, Ovarialkarzinom.

  • Beispiele: 5-Fluorouracil (5-FU), Capecitabin, Gemcitabin, Pemetrexed.

3. Anthrazykline und andere Anti-Tumor-Antibiotika

  • Wirkung: Hemmung der DNA-Replikation und Beeinflussung von Enzymen wie Topoisomerasen.

  • Indikationen: Breites Einsatzspektrum, u. a. bei Brustkrebs, Lymphomen, Leukämien.

  • Beispiele: Doxorubicin, Epirubicin, Idarubicin; weitere Substanzen sind Mitoxantron, Bleomycin, Dactinomycin.

  • Besonderheit: Kumulative Dosisbegrenzung wegen potenzieller Kardiotoxizität.

4. Topoisomerase-Hemmer

  • Wirkung: Blockade der Topoisomerase-Enzyme, die für die DNA-Entwindung bei der Zellteilung nötig sind.

  • Indikationen: Leukämien, gastrointestinale Tumoren, Lungen- und Ovarialkarzinome.

  • Beispiele: Irinotecan, Topotecan (Topoisomerase-I-Hemmer) und Etoposid, Mitoxantron (Topoisomerase-II-Hemmer)

5. Mitose-hemmende Substanzen

  • Wirkung: Hemmung der Spindelbildung bei der Zellteilung.

  • Indikationen: Mammakarzinom, Lungenkarzinome, Lymphome, Leukämien, Myelome.

  • Beispiele: Taxane – Paclitaxel, Docetaxel, Nab-Paclitaxel, Cabazitaxel und Vinca-Alkaloide – Vincristin, Vinblastin, Vinorelbin

  • Besonderheit: Risiko für Neuropathien, die eine Dosisanpassung erfordern.

6. Kortikosteroide

  • Wirkung: Antiproliferativ und antientzündlich, oft Teil von Kombinationsprotokollen.

  • Indikationen: Lymphome, Leukämien; zusätzlich zur Supportivtherapie (z. B. gegen Übelkeit).

  • Beispiele: Prednison, Dexamethason, Methylprednisolon.

7. Weitere Substanzen

  • Wirkung: Unterschiedlich, oft sehr spezifische Indikationen.

  • Beispiele:
    Asparaginase, Pegaspargase (ALL)
    Hydroxyharnstoff (CML, PV)
    Eribulin (Mammakarzinom)
    Mitotan (Nebennierenkarzinom)
    All-trans-Retinsäure, Arsentrioxid (APL)

Welche Nebenwirkungen können im Rahmen einer Chemotherapie auftreten?

Chemotherapeutische Substanzen wirken nicht nur auf Tumorzellen, sondern auch auf sich schnell teilende gesunde Zellen – insbesondere im Knochenmark, im Magen-Darm-Trakt, in den Haarwurzeln und in der Haut. Dadurch entstehen typische, meist reversible Nebenwirkungen [1, 2].

Häufige Nebenwirkungen

  • Fatigue

  • Übelkeit und Erbrechen

  • Alopezie

  • Infektionsanfälligkeit

  • Mukositis, Stomatitis

  • Haut- und Nagelveränderungen

  • Durchfall oder Verstopfung

Langfristige oder spezifische Nebenwirkungen

  • Polyneuropathien

  • Kardiotoxizität

  • Sekundärmalignome

  • Fertilitätsstörungen

Wie geht man mit Nebenwirkungen und Begleitproblemen der Chemotherapie um?

Eine Chemotherapie kann den Therapieerfolg entscheidend beeinflussen – aber auch erhebliche körperliche und emotionale Belastungen mit sich bringen. Der folgende Praxisleitfaden gibt einen kompakten Überblick über typische Probleme und bewährte Maßnahmen, um Patient:innen optimal zu unterstützen [1-4]:

1. Fruchtbarkeit & Empfängnisverhütung

  • Während der Chemotherapie keine Schwangerschaft – hohe Gefahr von Fehlbildungen.

  • Empfohlen: Kondome, ggf. Kryokonservierung von Spermien oder Eizellen vor Therapiebeginn.

2. Medikamenten- und Therapiesicherheit

  • Alle Begleitmedikamente vorher mit dem Behandlungsteam abklären, um Wechselwirkungen zu vermeiden.

3. Häufige Nebenwirkungen und Management

Problem

Empfohlene Maßnahmen

Fatigue

Energiemanagement, moderate Bewegung, Ruhephasen

Übelkeit/Erbrechen

Antiemetika (Tabletten, Injektionen, Pflaster); Nebenwirkungen wie Obstipation im Blick behalten

Alopezie

Perücken, Kopftücher; ggf. Kühlkappen zur Reduktion

Infektionsgefahr

Händehygiene, Abstand zu Infizierten, Impfstatus prüfen, ggf. prophylaktische Antibiotika

Anämie

Eisenreiche Ernährung; ggf. Substitution oder Transfusion

Thrombozytopenie

Verletzungsprophylaxe, ärztliche Abklärung bei Blutungen

Mukositis

Milde Mundspülungen, scharfe Speisen meiden, bei Bedarf Schmerzmittel oder Lasertherapie

Appetitlosigkeit

Kleine, häufige Mahlzeiten, ausreichend Flüssigkeit

Haut- und Nagelveränderungen

Feuchtigkeitspflege, Sonnenschutz

Neuropathien

Früherkennung durch Patientenaufklärung, Anpassung der Dosis bei Symptomen

Kognitive Einschränkungen („Chemo Brain“)

Gedächtnishilfen, Strukturierung des Alltags, ausreichend Schlaf

Schlafprobleme

Schlafhygiene (feste Zeiten, Verzicht auf Bildschirmzeit, keine schweren Mahlzeiten)

Emotionale Belastung

Psychoonkologische Begleitung, Selbsthilfegruppen, Entspannungstechniken

4. Akute Warnsignale

Sofort ärztliche Kontaktaufnahme bei:

  • Fieber >37,5 °C oder <36 °C

  • Atemnot, Schüttelfrost, starke Schmerzen

  • Blutungen oder ungewöhnliche Schwellungen

  • Anzeichen einer Infektion an Katheterstellen

Literatur:

(1)

Zafar A et al. Discov Oncol. 2025;16(1):607. doi: 10.1007/s12672-025-02198-8

(2)

Anand U et al. Genes Dis. 2022;10(4):1367-1401. doi: 10.1016/j.gendis.2022.02.007

(3)

S3-Leitlinie Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen. Stand 02.04.2025. Abrufbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/032-054OL (zuletzt aufgerufen am: 03.09.25)

(4)

NCCN Clinical Practice Guidelines in Oncology. Abrufbar unter: https://www.nccn.org/guidelines/category_3 (zuletzt aufgerufen am: 03.09.25)