Journal Onkologie
Medizin
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Protonentherapie bei Hirntumoren: Biologische Wirkung bislang unterschätzt

Die Behandlung bösartiger Hirntumore erfolgt heutzutage in der Regel singulär durch Bestrahlung oder eine Kombination von Operation mit anschließender Strahlentherapie, um bestmögliche Behandlungsergebnisse zu erzielen. Die Strahlentherapie kann dabei entweder „klassisch“ mit Photonen, oder auch mit Protonen erfolgen. Dabei beschreibt die „relative biologische Wirksamkeit“, wie stark Protonen biologisches Gewebe im Vergleich zu konventionellen Photonenstrahlen schädigen. In der klinischen Praxis wird diese Kenngröße bislang pauschal mit dem Faktor 1,1 angesetzt – Protonen gelten also als 10% effektiver. Doch experimentelle und erste klinische Studien zeigen: Die tatsächliche Wirkung kann lokal erheblich höher liegen, vor allem am hinteren Ende des Strahls, an dem die Teilchen ihre Energie schlagartig abgeben. Empfindliche Strukturen wie Sehnerven oder das gesunde, um den Tumor gelegene Hirngewebe, sind dabei am stärksten gefährdet.

Systematische Datenauswertung von über 100 Patient:innen

Für die Analyse wertete das Team um Prof. Steffen Löck, Leiter der OncoRay-Forschungsgruppe für Modellierung und Biostatistik in der Radioonkologie, die Behandlungsdaten von 105 Patient:innen mit Hirntumoren aus, die zwischen 2015 und 2022 in der Universitäts Protonen Therapie Dresden mit Protonen behandelt wurden. Für alle klinischen Behandlungspläne wurde mit Hilfe computergestützter Simulationen berechnet, wie sich die geschätzte Wahrscheinlichkeit für 16 typische Nebenwirkungen, wie Sehstörungen, hormonelle Dysfunktion, Hörverlust oder Gedächtniseinschränkungen verändert, wenn statt einer konstanten eine variable relative biologische Wirksamkeit zugrunde liegt.

Das Ergebnis: In rund einem Drittel der Fälle wurde das Risiko für Nebenwirkungen deutlich unterschätzt, wenn die tatsächliche Bandbreite der biologischen Wirkung keine Berücksichtigung fand. Besonders hoch war das Risiko, wenn der Tumor sehr nah an empfindlichen Organen lag. Aber auch Faktoren wie die Größe des behandelten Bereichs, das Alter der Patient:innen oder eine begleitende Chemotherapie spielten eine Rolle.

Neue Strategien zur Risikosenkung getestet

In einem weiteren Schritt testete das Team 2 innovative Ansätze zur Optimierung der Bestrahlungsplanung, um die Nebenwirkungen zu reduzieren. Dabei wurde zusätzlich zur Strahlendosis die variable biologische Wirksamkeit der Protonen berücksichtigt. Die Optimierung wurde so durchgeführt, dass besonders wirksame Anteile der Strahlung – etwa Bereiche, in denen Protonen stoppen und ihre maximale Energie abgeben – nicht in empfindlichen Gewebestrukturen liegen.

Diese Methoden wurden beispielhaft an 6 Patient:innen getestet, darunter 5 mit erhöhtem Nebenwirkungsrisiko. Die überarbeiteten Bestrahlungspläne wurden zudem mit den ursprünglich eingesetzten klinischen Planungen verglichen. Dabei zeigte sich: in den jeweils am stärksten gefährdeten Organen – also jenen, bei denen die Nebenwirkungswahrscheinlichkeit besonders hoch war – konnte das Risiko im Durchschnitt um rund 30% gesenkt werden: Gleichzeitig blieb die Dosisverteilung im Tumor ausreichend hoch, um die therapeutische Wirkung zu erhalten.

Praktische Anwendung in Sicht

Für eine zukünftige klinische Anwendung dieser Ansätze schlagen die Wissenschaftler:innen vor, die neuartige biologische Optimierung zunächst gezielt bei jenen Patient:innen einzusetzen, die voraussichtlich am meisten davon profitieren würden. Hierfür entwickelten sie ein einfach anwendbares Vorhersagemodell, das auf bestehenden Planungsdaten basiert – etwa dem Abstand zwischen Tumor und Risikoorganen oder herkömmlichen Dosiskennwerten. Damit lässt sich abschätzen, ob in einem konkreten Fall eine erweiterte biologische Planung sinnvoll wäre.

Neuer Ansatz für eine T-Zell-Immuntherapie gegen bösartige Hirntumoren

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Quelle:

Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf

Literatur:

(1)

Palkowitsch M et al. ESTRO Abstract Book 2025; p. 3804.

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