Journal Onkologie
Hämatologie
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Was ist die Polycythaemia Vera?

Die PV ist eine seltene, chronische Erkrankung des blutbildenden Systems und gehört zur Gruppe der Philadelphia-Chromosom-negativen myeloproliferativen Neoplasien (MPN). Charakteristisch ist eine unkontrollierte, klonale Vermehrung vor allem der Erythrozyten, häufig aber auch der weißen Blutkörperchen (insbesondere Granulozyten) und der Thrombozyten. Die Folge ist eine gesteigerte Blutzähigkeit, die das Risiko für thromboembolische Komplikationen wie Schlaganfälle oder Venenthrombosen erheblich erhöht [1].

Ursächlich ist in über 95% der Fälle eine Mutation im JAK2-Gen (meist V617F), die zu einer dauerhaften Aktivierung der JAK-STAT-Signalwege und somit zu einer Wachstumsstimulation der blutbildenden Zellen führt. In selteneren Fällen liegt eine Mutation im Exon 12 des JAK2-Gens vor. Nur etwa 1–2% der Patient:innen zeigen trotz klinisch typischer Merkmale keine nachweisbare JAK2-Mutation [1].

Welche Symptome können bei einer Polycythaemia Vera auftreten?

In der Frühphase bleibt die PV häufig unerkannt, da sie sich oft nur durch unspezifische Beschwerden äußert. Im Verlauf entwickeln sich Symptome, die durch die erhöhte Zellzahl im Blut und die damit verbundene Blutviskosität, Thromboseneigung und Splenomegalie bedingt sind [1].

Typische Symptome der PV sind [1]:

  • Unspezifische Allgemeinsymptome: Müdigkeit, Nachtschweiß, subfebrile Temperaturen, Gewichtsverlust, Konzentrationsstörungen

  • Mikrozirkulationsstörungen und Hyperviskosität: Kopfschmerzen, Schwindel, Tinnitus, Sehstörungen, Parästhesien, Erythromelalgie (brennende Schmerzen und Rötung an Händen/Füßen)

  • Juckreiz (Pruritus): Bei ca. 70 % der Patient:innen, häufig nach Wasserkontakt (aquagen)

  • Thromboembolische Komplikationen: Arterielle und venöse Thrombosen, teils an atypischen Lokalisationen (z. B. Leber-, Milzvene)

  • Organvergrößerungen: Splenomegalie (oft tastbar, evtl. Druckgefühl oder Völlegefühl), seltener Hepatomegalie

  • Stoffwechselbedingte Beschwerden: Gichtanfälle bei Hyperurikämie

Im späteren Verlauf kann die PV in eine Post-PV-Myelofibrose übergehen. Dabei nimmt die Funktion des Knochenmarks zunehmend ab (Fibrosierung), es kommt zu [1]:

  • Rückgang der Erythrozytose

  • Zunehmender Splenomegalie

  • Verlagerung der Blutbildung in Milz und Leber

  • Hämatopoetischer Insuffizienz mit Anämie und Panzytopenie

  • Risiko der Transformation in eine akute myeloische Leukämie (AML) (bei ca. 20 % der Patient:innen mit Post-PV-MF)

Wie wird eine Polycythaemia Vera diagnostiziert?

Die Diagnose der PV erfolgt nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2016, die auch in der aktuellen S3-Leitlinie Anwendung finden. Entscheidend ist eine Kombination aus Blutbild, Knochenmarkbefund, molekulargenetischem Nachweis und dem Erythropoetin-Spiegel im Serum.

Zur Diagnosestellung müssen entweder alle drei Hauptkriterien oder die ersten beiden Hauptkriterien plus das Nebenkriterium erfüllt sein:

Hauptkriterien:

  • Erhöhter Hämoglobinwert oder Hämatokrit
    - Männer: Hämoglobin >16,5 g/dl oder Hämatokrit >49 %
    - Frauen: Hämoglobin >16,0 g/dl oder Hämatokrit >48 %

  • Hyperzelluläres Knochenmark mit ausgeprägter Vermehrung aller drei Zellreihen (Erythrozyten, Granulozyten, Megakaryozyten)

  • Nachweis einer JAK2-Mutation
    - JAK2 V617F (bei ca. 95 % der Betroffenen) oder
    - Mutation im Exon 12 des JAK2-Gens (ca. 3–4 %)

Nebenkriterium:

  • Verminderter Serum-Erythropoetin-Spiegel

Zur Abgrenzung gegenüber anderen myeloproliferativen Neoplasien wie Essentieller Thrombozythämie (ET) oder Primärer Myelofibrose (PMF) dienen neben der Knochenmarkuntersuchung vor allem molekulargenetische Marker: CALR- und MPL-Mutationen sind bei PV nicht nachweisbar.

Weitere Hinweise für die PV liefern ein auffälliges kleines Blutbild mit Erythrozytose, ggf. Leukozytose und Thrombozytose sowie Entzündungszeichen wie erhöhte BSG oder CRP. Ein niedriger Erythropoetin-Spiegel und der molekulare Nachweis der JAK2-Mutation sichern die Diagnose zusätzlich ab.

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Wie wird eine Polycythaemia Vera behandelt?

Die zentralen Therapieziele bei PV sind [1]:

  • Prävention thromboembolischer Ereignisse

  • Kontrolle der Symptomatik

  • Verhinderung einer Transformation in Myelofibrose oder akute myeloische Leukämie (AML)

Die Therapie richtet sich nach dem individuellen Risiko [1]:

  • Niedriges Risiko: Alter < 60 Jahre, keine Thrombose in der Anamnese

  • Hohes Risiko: Alter ≥ 60 Jahre und/oder thromboembolische Ereignisse in der Anamnese

Therapie bei niedrigem Risiko

  • Aderlässe zur Senkung des Hämatokrits auf < 45 %

  • Low-dose-Acetylsalicylsäure (ASS), sofern keine Kontraindikation besteht

  • Kontrolle kardiovaskulärer Risikofaktoren (z. B. Nikotinkarenz, Gewichtsreduktion)

Therapie bei hohem Risiko

  • Zusätzlich zytoreduktive Therapie, primär mit Hydroxycarbamid (Hydroxyurea)

  • Alternativ (z. B. bei Unverträglichkeit): Interferon-α (besonders bei jüngeren Patienten oder Kinderwunsch)

  • Bei unzureichendem Ansprechen oder Intoleranz: Einsatz von Ruxolitinib (JAK1/2-Inhibitor)

Supportive Maßnahmen

  • Therapie des Juckreizes (z. B. mit Antihistaminika oder SSRIs bei therapieresistentem Pruritus)

  • Einsatz von Kompressionsstrümpfen und Thromboseprophylaxe bei Risikosituationen

  • Patient:innen sollten auf ausreichend Flüssigkeitszufuhr, Bewegung und Vermeidung langer Immobilisation achten

Wie sieht die Prognose bei einer Polycythaemia Vera aus?

Wird die Erkrankung nicht behandelt, ist die Prognose schlecht: Innerhalb der ersten 18 Monate versterben etwa 50 % der Patienten. Haupttodesursache sind Thrombosen, die durch die vermehrte Zellzahl und gesteigerte Blutviskosität begünstigt werden [1].

Unter adäquater Behandlung verbessert sich die Prognose deutlich. In retrospektiven Kohortenstudien liegt die mediane Überlebenszeit behandelter PV-Patient:innen bei etwa 19 Jahren. Dabei ist das Risiko einer Transformation in eine Myelofibrose oder eine akute myeloische Leukämie (AML) relativ gering, steigt jedoch mit der Krankheitsdauer an [1].

PV-Patient:innen werden in verschiedene Prognose-Gruppen eingeteilt, die sich v.a. nach dem Thromboserisko des individuellen Patienten richten. Gesicherte Risikofaktoren für Thromboembolien ist ein Alter ≥ 60 Jahre und eine bereits stattgehabte arterielle oder venöse Thrombose [1].

Patienten-FAQ

Häufig gestellte Fragen zum Thema Polycythaemia Vera

Rund um das Thema Polycythaemia Vera (PV) stellen sich für Betroffene und Angehörige oft viele Fragen: zur Diagnose, zu Behandlungsmöglichkeiten, zu Nebenwirkungen oder zum Alltag mit der Erkrankung. In dieser Patienten-FAQ finden Sie die häufigsten Fragen – und aktuelle, medizinisch fundierte Antworten, verständlich und klar erklärt.

Literatur:

(1)

Onkopedia-Leitlinie zur Polycythaemia Vera. Stand September 2023. Abrufbar unter: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/polycythaemia-vera-pv/@@guideline/html/index.html#ID0EQF (zuletzt aufgerufen: 18.07.25)