Krebsprävention muss auf Kanzlerebene „zur Chefsache“ werden
Inga PabstDie Deutsche Krebshilfe und das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) fordern eine Strategie zur Krebsprävention in allen Politikbereichen auf Bundesebene. „Der große Hebel fehlt bislang“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krebshilfe, Franz Kohlhuber, dem JOURNAL ONKOLOGIE. Es brauche dringend Rahmenbedingungen, die es den Menschen leicht mache, sich gesundheitsbewusst zu verhalten. Krebsprävention müsse daher auf Kanzlerebene „zur Chefsache“ erklärt werden.
Angesichts der Zunahme von Krankheiten wie Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sei es entscheidend, Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung und schädlichen Alkoholkonsum zu reduzieren. 40% aller Krebserkrankungen wären durch Primarprävention vermeidbar, sagte Kohlhuber. Dies gelte insbesondere auch für häufige Krebsarten wie Haut-, Lungen-, Darm- und Brustkrebs.
Eine erfolgreiche Prävention von Krebserkrankungen könne mehr Gesundheit und Lebensqualität in der Bevölkerung sichern sowie Folgekosten durch vermeidbare Erkrankungen reduzieren: „Die Politik muss hier in Zukunft einen anderen Blick nehmen.“ Kohlhuber betonte die Notwendigkeit einer Strategie „Health in all Policies“. Um Prävention als Ressort-übergreifende Aufgabe zu etablieren, sollen vor allem das Bundesforschungsministerium (BMBF) und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) enger zusammenarbeiten und mit weiteren Ministerien vernetzt werden.
Im Hinblick auf die Finanzierung von Prävention, beispielsweise über Steuern auf gesundheitsschädliche Produkte, soll das Finanzministerium, für das Thema Ernährung das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft involviert werden. Das Bundesumweltministerium kommt beim Thema UV-Strahlung ins Spiel oder wenn es um umweltschädliche Produkte wie Einweg-E-Zigaretten geht. Schulbildung und Breitensport liegen im Wesentlichen in der Verantwortung der Länder. Eine koordinierte Vernetzung aller beteiligten Ressorts und Institutionen sei unabdingbar, um wissenschaftliche Erkenntnisse effizient in gesundheitspolitische Maßnahmen zu überführen und innovative Präventionskonzepte nachhaltig umzusetzen, heißt es in dem gemeinsamen Positionspapier von DKFZ und Deutscher Krebshilfe [1].
Forschung und Versorgung verzahnen
Kohlhuber kann aber auch auf große Fortschritte der vergangenen Jahre verweisen: Sowohl in der „Nationalen Dekade gegen Krebs“ des Bundesforschungsministeriums als auch durch die Neuausrichtung des „Nationalen Krebsplans“ durch das Bundesgesundheitsministerium ist die Krebsprävention verankert. Zudem gibt es deutschlandweit viele gute Initiativen und Projekte zur Stärkung der Prävention. „Allerdings wird in der Regel immer nur ein kleiner Teil der Bevölkerung erreicht“, sagte Kohlhuber.
Gemeinsam mit dem DKFZ baut die Deutsche Krebshilfe derzeit in Heidelberg ein Nationales Krebspräventionszentrum auf [2]. Die Einrichtung integriert Grundlagenforschung, Interventionsstudien, Aus- und Weiterbildungsangebote, Öffentlichkeitsarbeit und Politikberatung. Als Piloteinrichtung entsteht außerdem eine Präventionsambulanz für Beratungsgespräche und weitere Forschungen. Aus den dort gewonnenen Erkenntnissen sollen Präventionsprogramme in der Fläche ausgerollt und gemeinsam mit Kitas, Schulen, Sportvereinen und Unternehmen umgesetzt werden. Die Entwicklung von weiteren Outreach-Programmen unter Beteiligung von Fachzentren sowie Haus- und Fachärzt:innen ist ein weiteres Vorhaben.
Gesundheitskompetenz in Deutschland sinkt
Wie wichtig solche Maßnahmen werden können, zeigt die derzeit schlechte Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland: Rund 75% der Erwachsenen haben erhebliche Schwierigkeiten, Informationen zu Prävention oder zur Behandlung von Krankheiten zu finden, zu beurteilen und auf die eigene Lebenssituation anzuwenden. Das ergab eine repräsentative Studie der Technischen Universität München (TUM) in Zusammenarbeit mit der Apotheken-Umschau. Demnach hat die Gesundheitskompetenz in Deutschland in den vergangenen 10 Jahren noch einmal deutlich abgenommen. Lag 2014 der Anteil der Menschen, die sich im Informationsdschungel nicht zurechtfinden, noch bei 54%, sind es aktuell bereits fast 76%. Die Autor:innen fordern angesichts dieser Daten von der Politik, Maßnahmen zur Steigerung der Gesundheitskompetenz in allen Politikbereichen zu verankern.
Starke Tabaklobby verhindert Steuererhöhung
Wenig Erfolg hatten in Deutschland bisher Versuche, ungesundes Verhalten durch höhere Steuern und Werbeverbote für schädliche Genuss- und Lebensmittel zu lenken. Die Deutsche Krebshilfe und zahlreiche andere Organisationen fordern seit Jahren spürbare Steuererhöhungen auf gesundheitsschädliche Produkte, insbesondere auf Tabak und Alkohol. Gerade Steuern seien erwiesenermaßen ein effektives Werkzeug, um das Verhalten von Menschen im Sinne der Prävention positiv zu beeinflussen, betonte Kohlhuber. Auch Abgabeverbote beispielsweise zu bestimmten Uhrzeiten oder an bestimmte Altersgruppen und Werbeversbote seien nachweislich effektiv. „Ziel der Verhältnisprävention ist es, eine gesunde Lebensweise durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen zur einfachen Option zu machen“, sagte er. „Das muss man politisch wollen.“ Der Umsetzung vieler Maßnahmen stünden jedoch wirtschaftliche Interessen entgegen: „Gerade die Tabaklobby ist in Deutschland sehr stark.“
Zentrale Steuerung von Public Health-Maßnahmen fehlt
Dass es in Deutschland auch dringend anderer Strukturen für die Durchsetzung einer wirkungsvollen Krebsprävention bedarf, wird regelmäßig in unterschiedlichen Studien belegt. So ergab auch eine aktuelle Übersichtsarbeit des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie, dass die Gesundheitsausgaben pro Kopf in Deutschland die dritthöchsten innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) sind, die Ergebnisse der Gesundheitsversorgung aber im Vergleich mit europäischen Nachbarländern nur im Mittelfeld rangieren.
Die Autor:innen sehen einen Hauptgrund ebenfalls in der fehlenden zentralen Steuerung von Public Health-Maßnahmen durch eine starke Institution. Stattdessen herrsche ein Flickenteppich aus Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen, der zu schlechter Abstimmung und ineffizienter Mittelverteilung führt. Insgesamt gebe es zu wenig Prävention und zu viel „Reparaturmedizin“. Die Finanzierung von Prävention und Gesundheitsförderung friste zugleich ein Nischendasein. Auch diese Studienautor:innen sehen eine Ursache bei Lobbygruppen, die immer wieder wirksame Maßnahmen, wie beispielsweise die Einführung einer Zuckersteuer und Regulierungen für Tabak und Alkohol, erfolgreich verhindern.
Startschuss für BIÖG ist gefallen
Welche Rolle das neu gegründete Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) bei nationalen Präventionsmaßnahmen in der Zukunft spielen kann, ist derweil noch nicht klar definiert. Kurz vor den Bundestagswahlen hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch per Ministeerlass die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln entsprechend umbenannt und eine Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut durch die Institutsleitungen vereinbaren lassen. Ursprünglich sollte die neue Einrichtung über das Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit auf den Weg gebracht werden, doch vor dem Bruch der Ampelkoalition ist es nicht mehr zu einem entsprechenden Beschluss gekommen.
Deutschland habe unter anderem eine sehr hohe Sterblichkeit an vermeidbaren Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen, sagte Lauterbach bei der Institutsgründung. Die Lebenserwartung sei in Deutschland auch erstmalig unter den Durchschnitt in der Europäischen Union gefallen, daher müsse Deutschland mehr in Prävention und Gesundheitsaufklärung investieren. Das BIÖG soll deshalb das Wissen über gesunde Verhaltensweisen leicht verständlich vermitteln und auch selber Daten erheben.
„Unsere Aufgabe ist es, Menschen zu einem gesunden Lebensstil zu befähigen“, umreißt der kommissarische Leiter des BIÖG, Johannes Nießen, in der Kölnischen Rundschau das Aufgabengebiet. Bezogen auf nicht übertragbare Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder Demenz gebe es bereits bewährte Präventionsempfehlungen. „Leider erreichen sie nicht immer die Menschen, die es besonders betrifft und für die diese Empfehlungen enorm wichtig wären.“ Weitere große Themen seien der Klimawandel mit seinen gesundheitlichen Folgen, die psychische Gesundheit von Jugendlichen sowie Aufklärungsarbeit zu den Risiken des Cannabis-Konsums für junge Menschen.
Ungeklärt ist auch noch, wie die künftige Bundesregierung das neue Institut finanziell ausstatten wird. 2024 flossen 73 Mio. Euro aus dem Bundeshaushalt in die Förderung des BIÖG. Hinzu kommen 12,9 Mio. aus Drittmitteln und Kooperationen. In den Gesprächen der Arbeitsgruppe Gesundheit und Pflege im Rahmen der Koalitionsverhandlungen für eine schwarz-rote Bundesregierung fand sich das Thema Prävention jedenfalls nicht mit konkreten Maßnahmen im Positionspapier wieder.
Erster Nationaler Krebspräventionsgipfel
Zur weiteren Strategiebildung wird die Deutsche Krebshilfe in diesem Juni erstmals einen Nationalen Krebspräventionsgipfel ausrichten. Ziel der Konferenz ist eine langfristige Krebspräventionsstrategie für Deutschland auf der Grundlage evidenzbasierter Ergebnisse aus der Forschung. Zunächst wollen die rund 40 Teilnehmenden aus Wissenschaft, Gesundheitswesen, Zivilgesellschaft und Politik konkrete Handlungsempfehlungen für die neue Bundesregierung erarbeiten. „Im Fokus stehen nicht so sehr einzelne Risikofaktoren, sondern vielmehr die großen, übergreifenden Themen: die Verankerung von Krebsprävention im Bildungssystem, Strukturen für eine präventionsförderliche Gesellschaft sowie die politische, finanzielle und ökonomische Priorisierung von Krebsprävention“, sagte Kohlhuber. Perspektivisch sollen Umsetzung und Wirksamkeit dieser Handlungsempfehlungen durch ein unabhängiges und wissenschaftliches Monitoring sichergestellt und kontinuierlich mit dem neuesten Wissensstand abgeglichen werden.
Literatur:
- (1)
https://www.krebshilfe.de/informieren/presse/stellungnahmen/ (letzter Zugriff 17.04.2025).
- (2)
Nationales Krebspräventionszentrum (NCPC): www.krebspraevention.de (letzter Zugriff 17.04.2025).