Nebennierenkarzinom
Dr. rer. nat. Marion AdamNebennierenkarzinome sind seltene, aber hochmaligne Tumoren mit sehr ungünstiger Prognose. In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 100 bis 200 Menschen meist im mittleren Lebensalter an einem Nebennierenkarzinom [1].
Welche Funktion übernehmen die Nebennieren und wo sind diese lokalisiert?
Jeder Mensch besitzt zwei Nebennieren, die als dreieckig geformte Drüsen jeweils oberhalb der Nieren liegen. Anatomisch bestehen sie aus zwei funktionell unterschiedlichen Anteilen: der äußeren Nebennierenrinde (Cortex) und dem inneren Nebennierenmark (Medulla) [2, 3].
Die Nebennierenrinde produziert lebenswichtige Steroidhormone [2, 3]:
Glukokortikoide (v. a. Cortisol) regulieren den Zuckerstoffwechsel, die Immunabwehr und tragen zur Aufrechterhaltung eines normalen Blutdrucks bei. Bei Stress steigt die Cortisolproduktion deutlich an.
Mineralokortikoide (vor allem Aldosteron) steuern die Konzentration von Blutsalzen wie Natrium und Kalium sowie den Wasserhaushalt und wirken damit direkt auf den Blutdruck.
Außerdem werden in der innersten Schicht (Zona reticularis) androgene Vorstufen (z. B. DHEA) gebildet.
Das Nebennierenmark bildet die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin, die bei körperlicher oder psychischer Belastung die Herzleistung steigern, den Blutdruck erhöhen und den Blutzuckerspiegel regulieren. Diese Hormone sind zentral für die „Fight-or-Flight“-Reaktion des Körpers. Sollte das Mark entfernt werden, können ähnliche Gewebe im Nervensystem (Ganglien) diese Hormone teilweise ersetzen [2, 3].
Die Hormonproduktion wird über mehrere Systeme gesteuert [2, 3]:
Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) reguliert die Produktion von Cortisol und Androgenen.
Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) kontrolliert die Bildung von Aldosteron.
Das sympathische Nervensystem steuert die Freisetzung von Adrenalin und Noradrenalin aus dem Mark.
Ein Mangel an lebenswichtigen Hormonen wie Cortisol oder Aldosteron, z. B. nach operativer Entfernung beider Nebennieren, muss durch eine lebenslange Einnahme von Tabletten ausgeglichen werden [2, 3].
Was ist ein Nebennierenkarzinom?
Nebennierentumoren können in der Nebennierenrinde oder dem Nebennierenmark entstehen. Sie machen sich in der Regel durch Symptome bemerkbar, die auf eine übermäßige Ausschüttung von Hormonen des Tumors zurückzuführen sind [1, 4].
In ca. 50% der Fälle handelt es sich um hormonaktive Tumoren, d.h. der Tumor selbst produziert Hormone, die zu spezifischen Symptomen führen. Tumoren der Nebennierenrinden können eine übermäßige Ausschüttung von Steroidhormonen und Aldosteron zur Folge haben, während hormonaktive Tumoren des Nebennierenmarks zu einer übermäßigen Produktion von Katecholaminen neigen. In seltenen Fällen, bei bis zu 3,5% der Bevölkerung, treten Nebennieren-Inzidentalome, die zufällig bei der Untersuchung einer nicht verwandten Erkrankung entdeckt werden, auf. Die meisten dieser Tumoren produzieren keine Hormone [1, 4].
Nebennierentumoren können gutartig (benigne) oder bösartig (maligne) sein. Die Unterscheidung ist oft schwierig. Nach der operativen Entfernung ist eine langfristige, engmaschige Nachsorge erforderlich, um bei Patient:innen mit Nebennierenkrebs Rückfälle frühzeitig zu erkennen [1, 2].
Nebennierenkrebs tritt mit einer Inzidenz von ca. 1 bis 2 Erkrankungen pro 1 Mio. Einwohner jährlich auf und ist mit weniger als 0,2% aller krebsbedingten Sterbefälle selten unter den bösartigen Tumoren. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer. Die Prognose des Nebennierenkarzinoms ist in allen Stadien, aber vor allem im fortgeschrittenem Stadium (Stadium IV), sehr ungünstig. Bei Manifestationen im Kindesalter ist die Prognose der Erkrankung günstiger als bei Erwachsenen [5].
Wie entsteht ein Nebennierenkarzinom?
Ein Nebennierenkarzinom kann sporadisch entstehen oder Teil eines familiären Krebssyndroms sein. Die molekularen Mechanismen bei erblichen Syndromen sind heute gut beschrieben, während die Entstehung sporadischer Nebennierenkarzinome noch nicht vollständig verstanden ist. Studien zeigen, dass die meisten adrenokortikalen Tumoren, ob gut- oder bösartig, monoklonal wachsen [6].
Wichtige molekulare Faktoren sind [6]:
Mutationen im TP53-Tumorsuppressorgen, das z. B. beim Li-Fraumeni-Syndrom verändert ist.
Veränderungen im Wnt/β-Catenin-Signalweg, z. B. Mutationen des CTNNB1-Gens, Aktivierung durch Mutationen in APC (wie bei familiärer adenomatöser Polyposis, FAP) oder ZNRF3.
Überexpression von IGF-II (insulin-like growth factor II) kommt bei 60–90 % der Nebennierenkarzinome vor und wird mit DNA-Demethylierung und anderen epigenetischen Veränderungen in Verbindung gebracht.
Weitere genetische Veränderungen betreffen Rb1, CDKN2A und CDK4, die Zellzyklus-Regulation beeinflussen.
Außerdem spielen Methylierungsmuster (CIMP-Phänotyp) und Mikro-RNAs (miRNAs), z. B. miR-483-5p, eine Rolle bei der Entstehung und Prognose.
Welche Symptome treten bei einem Nebennierenkarzinom auf?
Das klinische Bild eines Nebennierenkarzinoms hängt stark von Tumorstadium, Tumorgröße und dem Ausmaß der Hormonproduktion ab [5].
In etwa 60% der Fälle liegt bei Diagnosestellung eine autonome Hormonproduktion vor. Diese führt häufig zu einem Steroidexzess, der sich meist als rasch progredientes Cushing-Syndrom zeigt. Bei Frauen kann dies mit Virilisierung (Vermännlichung) einhergehen.
Bei Männern treten in etwa 5–10 % der Fälle östrogenproduzierende Tumoren auf, die Gynäkomastie (Brustentwicklung) und Hodenatrophie verursachen können.
Androgensekretion kann zu Hirsutismus, plötzlich einsetzender Oligomenorrhö oder einem männlichen Behaarungsmuster bei Frauen führen.
Aldosteronproduzierende Tumoren sind sehr selten, können aber mit schweren Bluthochdruckwerten (arterielle Hypertonie) und Hypokaliämie einhergehen.
Hormoninaktive Tumoren bleiben oft lange symptomlos und machen sich erst bei fortgeschrittener Größe durch Raumforderungseffekte bemerkbar [5]:
Typisch sind dann Schmerzen, Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen oder Verdauungsstörungen.
In späten Stadien können B-Symptome (z. B. Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Fieber) oder metastasenbedingte Beschwerden auftreten und der Diagnose vorausgehen.
Wie erfolgt die Diagnose eines Nebennierenkarzinoms?
Die Diagnose eines Nebennierenkarzinoms erfolgt nach den Empfehlungen des Europäischen Nebennierentumornetzwerks (ENSAT) nach einem standardisierten Vorgehen. Dieses umfasst folgende Untersuchungen [5]:
1. Hormondiagnostik
Die endokrinologische Diagnostik ist entscheidend, da auch ohne klinische Symptome in bis zu 95% der Fälle eine autonome Hormonproduktion nachweisbar ist. Empfohlen werden Testungen auf:
Glukokortikoidexzess
Sexualsteroidexzess oder der Steroidvorstufen
Mineralokortikoidexzess
Die Hormondiagnostik liefert Hinweise auf Malignität, beweist den adrenokortikalen Ursprung der Raumforderung und dient später zur Verlaufskontrolle.
2. Bildgebung
Zur Lokalisation und Beurteilung des Tumors werden eingesetzt:
CT oder MRT des Abdomens
Thorax-CT
Optional: FDG-PET bei speziellen Fragestellungen
Skelettszintigraphie bei Verdacht auf Knochenmetastasen
3. Histopathologie
Die histopathologische Sicherung erfolgt meist nach Resektion, da eine Biopsie bei isolierten Nebennierenraumforderungen wegen des Risikos einer Tumorzellverschleppung meist kontraindiziert ist. Nur im metastasierten Stadium, bei Inoperabilität oder unklarem Primärtumor kann sie sinnvoll sein (vorher muss ein Phäochromozytom ausgeschlossen werden).
Die Diagnose stützt sich auf den Weiss-Score: Werden drei von neun Kriterien erfüllt, gilt ein Karzinom als gesichert. Zusätzlich helfen immunhistochemische Marker wie MIB-1 und Ki-67.
Wie wird ein Nebennierenkarzinom behandelt?
Die Behandlung eines Nebennierenkarzinoms richtet sich nach dem Tumorstadium und erfolgt in spezialisierten endokrinen Tumorzentren [5]:
1. Operation (kurativ bei lokalisiertem Tumor)
Die vollständige operative Tumorentfernung ist die einzige kurative Behandlungsmöglichkeit. Ziel ist die R0-Resektion, also die vollständige Entfernung ohne Tumorzellverschleppung. Dies verbessert die Prognose auch bei lokal fortgeschrittenem Wachstum.
Die Operation sollte nur in Zentren mit hoher Erfahrung (mind. 20 Adrenalektomien/Jahr) durchgeführt werden.
Bei fortgeschrittenen Tumoren sind auch En-bloc-Resektionen benachbarter Organe oder Gefäße möglich.
Die offene Adrenalektomie ist Standard; die minimalinvasive Technik wird bei großen Tumoren individuell entschieden.
2. Adjuvante Therapie
Da das Rezidivrisiko trotz vollständiger Entfernung hoch ist (60–80 %), wird oft eine adjuvante Therapie mit Mitotane (Lysodren) empfohlen.
Bei R0-Resektion und niedrigem Ki-67 kann der Einsatz von Mitotane individuell abgewogen werden.
Bei inkompletter Resektion oder unklarem Resektionsstatus wird zusätzlich eine Bestrahlung des Tumorbetts empfohlen.
3. Medikamentöse Therapie (Mitotane)
Mitotane ist das wichtigste Medikament zur adjuvanten oder palliativen Systemtherapie. Es hat einen spezifisch adrenolytischen Effekt, reduziert die Hormonproduktion und lindert Symptome.
Während der Therapie muss eine Nebenniereninsuffizienz ausgeglichen werden.
Die Einstellung auf den Zielspiegel (14–20 mg/l) dauert oft Wochen bis Monate, Nebenwirkungen sind häufig.
4. Chemotherapie (bei Metastasen oder Progress)
Bei metastasierten Tumoren, raschem Progress oder nach Versagen der Mitotane-Therapie wird konventionelle zytotoxische Chemotherapie eingesetzt:
Erstlinientherapie: EDP/M-Schema (Etoposid, Doxorubicin, Cisplatin mit Mitotane).
Zweitlinientherapie: z. B. Kombination aus Gemcitabin, Capecitabin und Mitotane oder Streptozotozin.
5. Palliative Maßnahmen
Wenn eine Heilung nicht möglich ist, können Debulking-Operationen, Radiofrequenzablation kleiner Metastasen oder palliativ-symptomatische Maßnahmen zur Linderung hormonbedingter Beschwerden eingesetzt werden.
Häufige Fragen zum Thema Nebennierenkarzinom
Rund um das Thema Nebennierenkarzinom stellen sich für Betroffene und Angehörige oft viele Fragen: zur Diagnose, zu Behandlungsmöglichkeiten, zu Nebenwirkungen oder zum Alltag mit der Erkrankung. In dieser Patienten-FAQ finden Sie die häufigsten Fragen – und aktuelle, medizinisch fundierte Antworten, verständlich und klar erklärt.
Literatur:
- (1)
Nebennierenkarzinom. Deutsche Nebennieren-Karzionom-Studiengruppe. Abrufbar unter: https://www.nebennierenkarzinom.de/infos-zur-erkrankung (letzter Aufruf: 11.07.25)
- (2)
Dutt M et al. Physiology, Adrenal Gland. Updated May 2023. StatPearls [Internet]. Abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK537260/ (letzter Aufruf: 11.07.25)
- (3)
Universitätsklinikum Marburg. Nebennieren. Abrufbar unter: https://www.ukgm.de/ugm_2/deu/umr_ach/11810.html (letzter Aufruf: 11.07.25)
- (4)
Nebennieren-Karzinom. Deutsche Gesellschaft dür Endokrinologie. Abrufbar unter: https://www.endokrinologie.net/krankheiten-nebennierenkarzinom.php (letzter Aufruf: 11.07.25)
- (5)
Kawan & Fornara, Springer Medizin 2023, Nebennierenkarzinom. Abrufbar unter: https://www.springermedizin.de/emedpedia/die-urologie/nebennierenkarzinom?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-41168-7_32 (letzter Aufruf: 11.07.25)
- (6)
Torti & Correa Adrenocortical Cancer. Updated August 2023. StatPearls [Internet]. Abrufbar unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK546580/ (letzter Aufruf: 11.07.25)