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JOURNAL ONKOLOGIE 02/2024
Interview mit Dr. med. Steffen Wagner, Saarbrücken

Psychosoziale Begleitung und Beratung in der gynäko-onkologischen Praxis – wie können wir betroffenen Familien helfen?

Dr. med. Steffen Wagner und Dr. rer. nat. Petra Ortner

Psychosoziale Begleitung und Beratung in der gynäko-onkologischen Praxis – wie können wir betroffenen Familien helfen?
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Eine Krebsdiagnose ist nicht nur für die Erkrankten selbst, sondern auch für die ganze Familie ein Schock. Es gibt zahlreiche Studien, die deutlich machen, wie entscheidend eine therapiebegleitende psycho­onkologische Patientenbetreuung sowohl für die Lebensqualität als auch für die Therapieadhärenz und -akzeptanz ist. Diese Form der Unterstützung der erkrankten Person ist bereits in vielen Kliniken und auch in einigen Praxen etabliert. Was jedoch oft vergessen wird, ist die psychologische Begleitung der Familien­mitglieder, insbesondere von jungen Kindern. Wir befragten BNGO-Vorstandsmitglied Dr. Steffen Wagner, niedergelassener Gynäko-Onkologe in Saarbrücken und Vorsitzender der saarländischen Krebsgesellschaft, nach seinen Erfahrungen und Ratschlägen für die Praxis.
Dr. med. Steffen Wagner
Dr. med. Steffen Wagner

Warum ist eine psychoonkologische Betreuung der gesamten Familie bei der Krebserkrankung eines Familienmitglieds so wichtig?

In unserem Praxisalltag als Frauen­ärzt:innen erleben wir häufig, dass die Diagnose Krebs nicht nur bei den betroffenen Patient:innen, sondern auch bei ihren Familienangehörigen und Freunden große und oft existenzielle Ängste auslöst.

Es gibt zahlreiche Studien, die deutlich machen, wie entscheidend eine psychoonkologische Betreuung ist, sowohl für die Lebensqualität als auch für die Adhärenz der onkologischen Therapien. Diese Form der Unterstützung von Betroffenen ist bereits in vielen Kliniken und auch in einigen Praxen etabliert. Darüber hinaus benötigen viele Krebspatient:innen Hilfe in sozialen Belangen. Insbesondere bei jungen Menschen stellt sich oft die Frage nach der beruflichen und finanziellen Zukunft. Hierbei geht es um sozialrechtliche Themen wie Krankengeld, Renten­ansprüche, Schwerbehinderung und die Möglichkeit von bezahlten Rehabilitationsmaßnahmen.

Wie erleben Sie den Alltag der psycho­sozialen Versorgung?

Obwohl die Integration der psycho­onkologischen Betreuung in Tumorzentren bereits etabliert ist und dies einen bedeutenden Fortschritt darstellt, zeigt die Realität, dass eine umfassende Versorgung oft nicht in vollem Maße gelingt. Besonders an der Schnittstelle zwischen der stationären Behandlung in der Klinik und der anschließenden ambulanten Betreuung kommt es häufig zu Unterbrechungen in der psycho­onkologischen Versorgung, und es findet häufig nicht mehr als ein erstes Interventionsgespräch statt.

Wie können Sie die Patient:innen und Familien in der gynäkologisch-onkologischen Praxis unterstützen?

Natürlich sind wir als Ärzt:innen und auch die onkologischen Pflegekräfte in unseren Praxen in der Regel die ersten Ansprechpartner:innen und können viel Sicherheit und Beruhigung vermitteln. Unsere Patient:innen schätzen uns als konstante und vertrauenswürdige Anlaufpersonen. Dennoch zeigt die Erfahrung, dass bei einer Krebsdiagnose oft mehr erforderlich ist. In solchen Momenten fehlt es uns im Praxisalltag häufig an der Zeit und zudem an spezieller psychologischer sowie sozialmedizinischer Expertise, insbesondere im Gespräch mit Versicherungsträgern, Arbeitgebern und Behörden. Viele Patient:innen trauen sich außerdem nicht, mit uns über finanzielle Probleme zu sprechen. Hinzu kommt die Tat­sache, dass das Angebot an psychologischer Unterstützung oft begrenzt ist. Nach meiner Erfahrung kann es eine echte Herausforderung sein, kurzfristig einen Termin bei einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten für eine onkologische Patientin aus unserer Praxis zu organisieren. Für die Beratung von Angehörigen fehlt häufig ebenfalls die Zeit und die psychologische Gesprächsschulung. Und wer dann ganz oft vergessen wird, sind die Kinder unserer Patient:innen.
 
 

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Warum sollten Kinder krebskranker Eltern besonders im Fokus einer Familienberatung bei Krebs stehen?

Etwa 50.000 Kinder erleben jedes Jahr in Deutschland, dass ein Elternteil an Krebs erkrankt (1). Wenn krebskranke Patient:innen minderjährige Kinder haben, gesellen sich zu den bereits bestehenden krankheitsbezogenen Einschränkungen und Sorgen zusätzlich Befürchtungen bezüglich der weiteren Entwicklung ihrer Kinder (2).

Worum sorgen sich die Eltern am meisten?

Besonders in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung steht die elterliche Sorge um die Zukunft der Kinder eindeutig im Vordergrund. Dies kann zu höhergradigenDepressions- und Angstzuständen führen und belastet die Patient:innen zusätzlich zur Erkrankung ganz erheblich (3).

Was sind die wichtigsten Ängste der Kinder?

Aus der Perspektive der Kinder sind vor allem die spürbare Unsicherheit und Sorge ihrer Eltern sowie der Verlust der gewohnten Alltagsroutine bedeutsam. Obwohl es nicht immer einfach ist, die Belastung der Kinder zu erfassen – insbesondere bei jüngeren Kindern, die möglicherweise noch keine klaren Informationen geben können, und bei älteren Kindern, die gelegentlich zu Überkompensation neigen – deuten Studien darauf hin, dass auch Kinder vermehrt emotionale Probleme und Verhaltens­auffälligkeiten entwickeln können. Tatsächlich zeigen fast die Hälfte der Kinder von Eltern mit einer Krebserkrankung einen Rückgang ihrer schulischen Leistungen, soziale Isolation oder deutliche Verhaltensauffälligkeiten (4).

Bei mehr als 30% der Kinder treten im weiteren Verlauf klinisch relevante Symptome wie Angst, depressive Verhaltensweisen und psychosomatische Beschwerden auf (5). Oft machen sich die Traumata erst im späteren Leben in krisenhaften Situationen bemerkbar.

Wie können gynäkologische Onko­log:innen in der Praxis die Kinder und ihre Familien unterstützen?

Wichtig ist erst einmal, die betroffenen Eltern für das Problem zu sensibilisieren. Ich persönlich spreche alle jüngeren Patientinnen konkret und relativ zeitnah bei der Diagnosemitteilung darauf an. Häufig denken die betroffenen Eltern in der krisenhaften Situation der Diagnose zunächst nicht an die kindliche Belastungssituation oder schätzen diese falsch ein. Oft wird die Krankheit kleineren Kindern gegenüber auch verharmlost oder verschwiegen. Dies wirkt sich auf das Vertrauensverhältnis innerhalb der Familie sehr negativ aus und kann die Kinder sehr verunsichern.
 
 

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Welche Besonderheiten gibt es in der Kommunikation mit Kindern krebskranker Eltern?

Für die Kommunikation innerhalb der Familie gilt: Wichtig ist, den Kindern die Krebserkrankung nicht zu verheim­lichen. Das macht es meist viel schlimmer und kann die Ängste verstärken. Man sollte mit den Kindern altersgerecht kommunizieren. Man kann es so beschreiben: „Es ist besser für Kinder etwas Schlimmes zu wissen, als etwas Schlimmes zu ahnen.“ Kinder, die nicht informiert werden, entwickeln nicht selten schuldbesetzte Fantasien, die viel schlimmer sein können als die Realität. Es geht bei den Gesprächen mit Kindern über die Erkrankung eines Elternteils meist um die Fragen: Wie finde ich die richtigen Worte? Wie viel Information ist in welchem Alter angemessen? Mit welchen Reaktionen muss ich rechnen? Verständlicherweise sind die betroffenen Familien, aber auch wir Ärzt:innen hier häufig überfordert und benötigen professionelle Beratung und Unterstützung durch speziell ausgebildete Psychoonkolog:innen und Psychotherapeut:innen.

Gibt es Programme für die Beratung? Welches Beratungsangebot für Eltern können Sie den Kolleg:innen in den Praxen empfehlen?

Eine erste Orientierung mit Adressen und Broschüren bietet der Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums an (www.­krebsinformationsdienst.de). Eine sehr gute Beratung erhält man bei den lokalen Landeskrebsgesellschaften (Sektion A) der Deutschen Krebsgesellschaft in jedem Bundesland (Übersicht: https://www.krebsgesellschaft.de/landeskrebsgesellschaften.html).

Hier werden häufig spezielle Sprechstunden und Projekte angeboten. Optimal ist es, wenn wir in unseren Praxen das regionale Angebot kennen und bereits Informationsmaterial weiterreichen oder sogar einen persönlichen Kontakt herstellen können.

Sie haben im Saarland ein besonderes Projekt für Kinder und Jugendliche ins Leben gerufen – können Sie dies kurz beschreiben?

Im „Projekt Regenbogen“ der Saarländischen Krebsgesellschaft bieten wir neben der psychoonkologischen Beratung und Elternsprechstunden auch eigene Sprechstunden und Interventionen für Kinder und Jugendliche an. Dazu kommen erlebnispädagogische Gruppenangebote und Ausflüge für die gesamte Familie. In diesen „Auszeiten vom Krebs“ machen die Kinder in ungezwungener Atmosphäre unter anderem die erleichternde Erfahrung, dass es auch noch andere Familien in einer ähnlichen Situation gibt. Um dieses Thema in der öffentlichen Wahrnehmung zu verankern, wurde unser „Projekt Regenbogen“ 2023 mit dem Springer Medizin Charity Award ausgezeichnet. Darauf sind wir sehr stolz und wir denken, dass wir mit diesem Projekt schon vielen Familien helfen konnten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dr. rer. nat. Petra Ortner
 
Literatur:

(1) Petermann-Meyer A et al. Onkologie 2022; 28:997-1004.
(2) Akter J et al.. J Dhaka Med Coll 2015;24: 146-51.
(3) Park EM et al. Psychooncology 2016;25: 942-48.
(4) Trabert G et al. Dtsch Arztebl 2007;104: 1525-26.
(5) Phillips F et al. J Child Life Psychosoc Theory Pract 2021;2:28322.


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