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JOURNAL ONKOLOGIE 12/2023

Patient:innen als Partner in der Krebsforschung

Jochen Schlabing

Patient:innen als Partner in der Krebsforschung
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Die Rolle von Patient:innen bei der Erforschung und Versorgung von Krebserkrankungen. Mit diesem in Deutschland noch sehr jungen Thema befasste sich die Nationale Konferenz „Patienten als Partner der Krebsforschung“, die zum 2. Mal am DKFZ in Heidelberg tagte. Organisiert wird die Tagung vom Patientenforschungsrat des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT). Dieses stellt sich zurzeit in Sachen translationale Studien bundesweit an allen 6 Stand­orten neu auf: In Zukunft wird es keine Studienprojekte mehr ohne Patientenbeteiligung geben.
Was könnte die Rolle der Patient:innen bei der Versorgung und der Erforschung von Krebserkrankungen sein? Aus Sicht von Prof. Dr. Reinhard Büttner, Köln, fungieren die Patient:innen z.B. als Lotsen: „Die Frage, lasse ich mich tatsächlich mit so einer lebensbedrohlichen Erkrankung behandeln, ist natürlich ganz entscheidend“, so der Direktor des Instituts für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie: „Deswegen ist das ein Punkt, an dem man eine unabhängige Peer-Information braucht.“ Wenn er beispielsweise bei einer Patientin mit Lungenkrebs eine ROS1-Translokation feststelle, empfehle er als erstes den Verein zielGENau e.V., ein Patienten-Netzwerk für Personalisierte Lungenkrebstherapie, bei dem diese eine seriöse Auskunft bekäme.
 
 

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Am Beispiel der ROS1-Translokation skizzierte er auch, welche aktive Rolle Patient:innen als Forschungspartner spielen können: Als im Jahr 2012 anhand erster Daten klar wurde, dass der ALK-Inhibitor Crizotinib auch bei der mit 1-2% aller NSCLC-Fälle noch selteneren ROS1-Translokation ansprechen könnte, wurde eine klinische Studie dringend notwendig, um eine Zulassung zu erwirken. Der Hersteller habe aufgrund der Seltenheit der Erkrankung zunächst abgewunken, stellte jedoch das Medikament zur Verfügung. Mit der EUCROSS-Studie wurde dann eine einarmige Phase-II-Studie aufgesetzt, für die ca. 30 Pa­tient:innen eingeschlossen werden ­mussten (1).

Dabei sei man ursprünglich von 3-4 Ja­hren ausgegangen, um die Studie zu komplettieren. Dank der Mithilfe der Patient:innen und der akademischen Zentren in Europa habe es jedoch einen regelrechten Run auf die Studie gegeben und man habe nur 15 Mo­nate gebraucht. Und tatsächlich profitierten die Patient:innen massiv von der Behandlung, so Büttner. Dies habe dazu geführt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nach der Zulassung durch die europäische Arzneimittelagentur (EMA) diese Daten akzeptierte und das Medikament verschreibungspflichtig wurde. Sein Fazit: „Ohne den Beitrag der akademischen Forschung in Deutschland und ohne Beitrag der Patient:innen wäre es nicht gelungen, die Therapie für ROS1-Translokationen im deutschen Krankenversorgungssystem zu etablieren.“

Insbesondere bei Studien zu seltenen Tumorentitäten oder Subgruppen sowie bei Studien mit wirtschaftlich uninteressanten Medikamenten oder Prozeduren sieht er daher eine Rolle von Patient:innen. Patienten-Netzwerke und -Gruppen könnten hier als Befürworter und Interessenvertreter auftreten, um akademische Studien voranzubringen, einzufordern und bei deren Rekrutierung zu unterstützen. Auch darüber hinaus sieht er Handlungsfelder von Patient:innen, bei denen deren Beitrag in der Forschung und Behandlung essenziell ist und systematisch weiterentwickelt werden muss. Dazu zählte er etwa den Aufbau von klinisch annotierten Gewebebanken, das Verständnis von Resis­tenzen und die Stärkung der akademischen Grundlagenforschung.
 
 

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Kein NCT-Projekt ohne Patientenbeteiligung

Aus 3 Gründen sollten Patienten­vertreter:in­nen an einer Beteiligung in der Forschung interessiert sein, so Markus Wartenberg, Sprecher des NCT-Patientenforschungsrats und Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Sarkom-Stiftung: Es sei letztlich der Sinn von Medizin und des Gesundheitswesens, einen Nutzen für Patient:innen zu bieten – der Patient oder die Patientin sollte hier im Mittelpunkt stehen. „Patient:innen tragen das ultimative Risiko in klinischen Studien: das Risiko für ihr Leben“, betonte er. Als Beispiele nannte er unangebrachte Studiendesigns oder fehlende Informationen. Und schließlich wüssten Patient:innen am besten, was es heißt, mit einer Erkrankung zu leben – sie könnten daher auch als Expert:innen fungieren, gerade bei seltenen Tumor­erkrankungen hätten sie oft bessere Kenntnisse als manche Ärzt:innen.

Die Beteiligung von Patient:innen in der Forschung sieht er daher als Chance und Teil einer neuen Forschungskultur (siehe Interview). Sie könnten helfen, klinische Forschung schneller, effizienter, zielgerichteter, patientenorientierter und zeitnäher für die Versorgung zu gestalten. In diesem Sinne sei das Konzept des erweiterten NCT mit 6 Standorten und insgesamt 11 be­teiligten Unikliniken in Deutschland eine tolle Entwicklung. Denn hierfür ist am NCT auch ein umfassendes Konzept zur Patientenbeteiligung in der Forschung entwickelt worden – und eine Struktur mit nationalen und regionalen Patientenforschungsräten, die auch eine personelle Unterstützung erhalten.

Wartenberg: „Es soll künftig keine Studie und kein Projekt im NCT geben, bei der oder bei dem nicht wirklich eine Patientenbeteiligung involviert ist.“ Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat in der 2019 gegründeten „Dekade gegen Krebs“ das Thema „Patientenbeteiligung“ in den Fokus gestellt, erinnerte Wartenberg. Hierzu sollen nun auch in Deutschland Patient:innen intensiver in Forschungsprozesse einbezogen werden (Abb. 1).
 
Abb. 1: 12 identifizierte Handlungsfelder für eine Patientenbeteiligung am NCT.
Abb. 1: 12 identifizierte Handlungsfelder für eine Patientenbeteiligung am NCT.

Er ergänzte auch, was man als Patientenvertretung nicht wolle: Nämlich u.a. keine Beteiligung um der Beteiligung willen, keine Patient:innen, die Forscher:in­nen spielen, keine Verlangsamung von Prozessen im Sinne einer „Studien-Patienten-Genehmi­gungs-Behörden-Kultur“ und auch Alibi-Pa­tientenbeteiligung aus Imagegründen. Er kritisierte zudem die Einstellung, dass Patientenengagement immer ehrenamtlich sein müsse. Und schließlich sollten Prozesse der Patientenbeteiligung auch nicht über deren Köpfe hinweg etabliert werden, bemerkte Wartenburg.

Deutschland fällt bei translationalen Studien zurück

„Es ist erstmals in Deutschland, dass am NCT ganz konsequent eine Kultur der Einbeziehung von Patient:innen als Forschungspartner implementiert wird“, unterstrich Bärbel Söhlke, ebenfalls vom NCT-Patientenforschungsrat und Vorsitzende des Vereins zielGENau e.V. Der Fokus des Netzwerkes liege dabei in Zukunft ganz klar auf frühen klinischen Studien zur Verbesserung des Überlebens und der Lebensqualität von Krebspatient:innen, insbesondere im Bereich der Präzisions- und personalisierten Onkologie.

Denn die klinische translationale Forschung sei in Deutschland der Flaschenhals. „Wir haben die weltweite Studiensituation hierzu analysiert und das Ergebnis war sehr enttäuschend. Wir sind in Deutschland erschreckend schlecht im internationalen Vergleich, sowohl bezogen auf die absolute Zahl an Studien als auch relativ zu den Bevölkerungszahlen“, sagte sie. Söhlke betonte, dass das erweiterte NCT den Anspruch habe, sich mit den weltweit führenden Krebszentren zu messen und genauso viele akademische Forschung in klinische Studien umzusetzen, wie die heute weltweit besten Zentren etwa in den USA.

Forschungsthemen und Krankheitsbereiche des NCT

„Wir müssen es effektiver schaffen, unsere Ansätze aus der präklinischen Forschung, für die Deutschland eigentlich ein ganz guter Standort ist, effektiver und systematischer in die klinische Anwendung einzubringen“, unterstrich Prof. Dr. Dirk Jäger, geschäftsführender Direktor am NCT Heidelberg. Eigene investigator initiated trials in der Translation durchzuführen, sei genau das Ziel des Netzwerks, unterstrich auch er. Grundsätzlich seien Pharmastudien zwar nicht schlecht, aber man habe es der Pharmaindustrie politisch überlassen, die klinische Entwicklung in Deutschland zu betreiben. Jäger: „In diesem NCT-Netzwerk haben wir jetzt wirklich die Chance, aber auch die Verantwortung, das aus akademischer Sicht ebenfalls zu tun.“

Um Synergien im NCT-Netzwerk möglichst gut nutzen und als Standorte möglichst gut zusammen arbeiten zu können, habe man sich für die ersten 5 Jahre auf eine gewisse Fokussierung festgelegt, erläuterte Jäger. Dies bedeute aber nicht, dass man gute Ideen außerhalb dieser vorab definierten Themen und Entitäten ausschließe: „Qualität und Innovation sind immer noch die Hauptkriterien“, sagte er.

Jäger nannte 7 vorranginge Forschungsthemen: Die diagnostische Charakterisierung des Tumors und seiner Makro- und Mikroumgebung, lokale Präzisionstherapie, eine gezielte Molekulartherapie, die personalisierte Immuntherapie, die translationale Datenwissenschaft und E-Health in der Onkologie, eine Erforschung zum fairen und gleichberechtigten Zugang von Patient:innen sowie die Forschung zur Erfassung der von Patient:innen gemeldeten Ergebnisse, zur Bewertung der Symptombelastung und zu Interventionen. Dies sollen sich zunächst vorrangig auf 8 Krankheitsbereiche konzentrieren: Lungenkrebs, Blutkrebs/Lymphome, Hirntumoren, wiederkehrende und sehr risikoreiche Kinderkrebs-Erkrankungen, Sarkome, Krebserkrankungen des Verdauungstraktes, Brustkrebs und Prostatakrebs.

Natürlich sei die Zahl der durchgeführten Studien ein Benchmark, laut Jäger soll jedoch vor allem Wert darauf gelegt werden, auch die Qualität der Studien zu verbessern, um wirklich einen Mehrwert für die Patient:innen zu schaffen. „Insofern ist es uns ein besonderes Anliegen, Patient:innen auch systematisch in alle strategischen Prozesse, in alle Entscheidungen, auch bei der Frage, welche Studien priorisiert werden, einzubeziehen“, so der Onkologe. Gleichzeitig solle auch das Tempo der Translation erhöht werden. Auch hier habe das NCT-Netzwerk aus seiner Sicht einen Arbeitsauftrag, zusammen mit der Politik und den Regulatoren, innovative Studienkonzepte schneller an den Start zu bringen, um Patient:innen rekrutieren zu können.

 
 
Markus Wartenberg
Markus
Wartenberg

„Kulturwandel hin zu mehr Partnerschaft“

Interview mit Markus Wartenberg, Sprecher NCT-Patientenforschungsrat

Was ist das Besondere an der Nationalen Konferenz „Patienten als Partner der Krebsforschung“?

Patientenvertretende werden künftig als Partner der Forschenden an Auswahl, Konzeption, Durchführung und Bewertung von NCT-Studien intensiv beteiligt sein. Die Konferenz ist ein wichtiger Baustein im Rahmen unseres Gesamtkonzeptes „Patienten als Forschungspartner“. Das Treffen bringt jährlich Interessierte der deutschen Krebspatienten-Szene und Mediziner:innen zusammen. Um im Bereich „Patientenbeteiligung in der Forschung“ zu lernen, zu kooperieren und um die Krebsforschung gemeinsam zu verändern – also zu verbessern.

Welche Bedeutung haben Pati­ent:innen heute in der Krebsforschung in Deutschland – und welche Bedeutung sollten Sie aus Ihrer Sicht in Zukunft haben?

Zur Zeit sind Patient:innen in Deutschland oft nur Probanden in klinischen Studien. Dies ist z.B. in angloamerikanischen Ländern seit Jahren anders. Dort sind Patient:innen routinemäßig als Partner in die Krebsforschung eingebunden. Sie bringen ihre wertvollen Erfahrungen aus dem Leben mit der Erkrankung – ihre Erkenntnisse, Bedürfnisse und Prioritäten frühzeitig in Forschungsprozesse wie z.B. in klinische Studien ein. Dies wollen wir auch in Deutschland erreichen: Einen Kulturwandel hin zu mehr Partnerschaft – von Beginn an – um Krebsforschung gemeinsam zu verbessern.

Was sind die Vorteile, wenn Patient:innen in die klinische Forschung einbezogen werden?

Die Erfahrungen aus dem Leben mit einer Erkrankung stellen wertvolle Expertisen – wichtige Ressourcen für die Forschung dar. Sie können helfen, wesentliche Forschungsfragen zu stellen, die richtigen Prioritäten zu setzen oder die Entwicklung von Therapien zu verbessern. Frühe Patientenbeteiligung kann enorm unterstützen, klinische Studien bereits in der Planung z.B. im Design zu verbessern; bei klinischen Endpunkten, bei PROMs (Patient Reported Outcome Measures), in der Patientenaufklärung oder bei der praktischen Machbarkeit einer Studie. Mit anderen Worten: Sie trägt dazu bei, Forschung besser, zielgerichteter und patientenorientierter – aber auch effizienter und schneller zu machen. Damit Forschungsergebnisse früher in die Versorgung und somit an die Patient:innen kommen.

Wie können niedergelassene Ärzt:innen sich im Sinne der Pati­ent:innen in die klinische Forschung in Deutschland besser einbringen?

Besonders Krebspatient:innen brauchen den Zugang zu Innovationen – also zu klinischen Studien. Doch oft wissen Patient:innen wenig über Studien oder denken sogar, dass Studien nur Mittel der letzten Wahl sind. Also wenn nichts mehr hilft, hilft vielleicht noch eine Studie? Hier können niedergelassene Ärzt:innen helfen, mögliche Studien für Betroffene zu finden oder Patient:innen ermutigen, sich zu dem wichtigen Thema klinische Studien zu informieren. Und dies in allen Phasen ihrer ­Erkrankung.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jochen Schlabing
 

Quelle: 2. Nationale Konferenz „Patienten als Partner der Krebsforschung“, 15.-17.09.2023, Heidelberg, im DKFZ

Literatur:

(1) https://www.jto.org/article/S1556-0864(16)31669-0/fulltext (zuletzt abgerufen am 14.11.2023).


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