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Interview: Biosimilars in der Hämatologie und Onkologie
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Die Aufsichts- und Zulassungsbehörden machen im Sinne der ihnen gestellten Fragestellung tatsächlich einen guten Job. Sie prüfen die Bioäquivalenz der entsprechenden Substanzen im Vergleich zur Originalsubstanz mit harten Kriterien und es scheint wirklich so zu sein, dass man sich auf diese Daten verlassen kann. Somit halte ich auch eine Extrapolation zwischen verschiedenen Entitäten für durchaus gerechtfertigt. Allerdings bleibt eine Unsicherheit: Es gibt keine Langzeitdaten, d.h. wir haben eine derzeit relativ kleine Anzahl an Patienten und einen sehr überschaubaren Beobachtungszeitraum. Langzeitveränderungen, Effektivität und Toxizität können wir daher nicht beurteilen. Wie das dann in der Praxis in der Onkologie aussehen wird, wissen wir deshalb noch nicht.
Was müsste verbessert werden?
Ein Problem besteht für mich in der Pharmakovigilanz, also der kontinuierlichen Überwachung von Sicherheit und Nebenwirkungen. Es müsste meiner Meinung nach verbindliche Regeln für die Aufklärung und die Dokumentation geben. Wie ist die Beziehung zwischen Arzt und Apotheker? Wie ist die Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten? Worüber muss wer von wem aufgeklärt werden? Und wie wird sichergestellt, dass dies dann auch alles entsprechend dokumentiert ist? Wir haben es hier bevorzugt mit monetären Interessen zu tun. Um eine gute Pharmakovigilanz sicherzustellen, wird ein Teil des monetären Profits durch den niedrigeren Preis für die vermehrte Dokumentation aufgebraucht werden, nur dass das dann aus einem anderen Topf kommt, nämlich aus dem Topf der Kliniken und nicht der niedergelassenen Kollegen, und das muss geklärt werden.
Können Biosimilars einen Beitrag zur langfristigen Finanzierbarkeit onkologischer Therapien leisten?
Ja, das werden sie können. Die aktuelle Datenlage geht von 20-30% Kostenersparnis durch Biosimilars in der Onkologie aus, wenn ich auch glaube, dass diese Einsparpotenziale überschätzt werden. Und zum zweiten, wie gesagt gibt es derzeitig keine Regelung zur Pharmakovigilanz, was ich für einen entscheidenden Punkt halte, um die Langzeitsicherheit für unsere Patienten zu gewährleisten.
Wie ordnen Sie in diesem Zusammenhang das kürzlich veröffentlichte Positionspapier* der ESMO ein?
Ich finde es hervorragend. Die Forderung, Kosten in der Onkologie durch neue, günstigere Medikamente, die den Originalpräparaten gleichwertig sind, zu verringern, ist mehr als adäquat. Allerdings bleibt auch hier die konkrete Umsetzung völlig offen. Für kein Gesundheitssystem existiert bisher ein konkreter Vorschlag zur Umsetzung der Überwachung und Dokumentation von Langzeiteffekten. Daran müssen wir alle noch arbeiten.
In Kürze wird das erste Biosimilar des Antikörpers Rituximab, der in der Hämatologie bei malignen Lymphomen breit eingesetzt wird, auf dem Markt verfügbar sein, weitere biosimilare Antikörper wie z.B. von Trastuzumab werden folgen. Was versprechen Sie sich von dieser Entwicklung?
Die Zulassung des Rituximab-Biosimilars ist der erste Schritt. Hier ist die Kombination mit Chemotherapie einigermaßen klar. Ehrlich gesagt rechne ich zuerst einmal mit Verunsicherung. Natürlich wird Geld eingespart werden, aber es ist unklar, wie die Kombination mit anderen Substanzen, insbesondere mit anderen Antikörpern stattfinden soll, z.B. beim Mammakarzinom die Kombination von Trastuzumab mit Pertuzumab. Es gibt keinerlei Daten zur Kombination eines Biosimilar-Antikörpers mit anderen Antikörpern. Was passiert im zeitlichen Verlauf einer einjährigen standardmäßigen Trastuzumab-Therapie, wenn die Patientin sich entschließt die Klinik oder die Praxis zu wechseln. Wie ist sichergestellt, dass sie (und wir) zumindest informiert ist (sind), dass sie das Originalpräparat oder ein Biosimilar erhält? Das ist alles offen. Im Prinzip kann jeder Arzt nach seinem Wusch verordnen, aber wie wird geregelt, dass zumindest dokumentiert wird, dass eine Brustkrebs-Patientin möglicherweise im Verlauf ihrer Erkrankung unterschiedliche HER2-gerichtete Substanzen bekommt. Wenn dann immunogene Nebenwirkungen auftreten, müssen wir zumindest wissen, worauf das zurückzuführen sein könnte.
Die EMA geht davon aus, dass die Substanzen vollkommen gleichwertig sind. Wie sehen Sie das?
Man muss ganz klar sagen, dass die EMA davon ausgeht, dass die Substanzen, die sie zulässt, bioidentisch sind, aber nicht strukturidentisch. In Bezug auf die Proteinstruktur und die Aminosäuresequenz sind Biosimilars und das Original identisch. Wie wir gerade bei einem Vortrag in Wien beim St. Gallen Consensus Meeting gehört haben, gibt es jedoch Unterschiede in den Glykosylierungen, die mit Effektivitätsverlust einhergehen können. In Bezug auf die Glykosylierung ist nach meinem Kenntnisstand keine absolute Identität sicher. Das trifft im Übrigen auch auf unterschiedliche Chargen der Originalpräparats zu, denn auch keine Charge des Originalprodukts gleicht der anderen zu 100%.
Welche Fallstricke sehen Sie bei der Implementierung von Biosimilars in den klinischen Versorgungsalltag in Deutschland?
Durch die derzeitigen Unklarheiten in Bezug auf die Dokumentation und die Aufklärungspflicht sehe ich schon Schwierigkeiten bei der Implementierung der Biosimilars, die aus Kostengründen ja von den Kassen gewünscht ist. Es gibt bisher aber keine einheitliche Methodik zur Dokumentation und Aufklärung. Die ESMO sagt lediglich: „Der Patient muss aufgeklärt werden."
Hier müssen Dokumente bereitgestellt werden, die verbindlich die Aufklärung und das Einverständnis des Patienten und auch die Kommunikation zwischen den Fachgruppen regeln.
Und wer sollte diese Aufklärungsdokumente bereitstellen? Die Zulassungsbehörden, die Hersteller oder die Fachgesellschaften?
Egal, wer. Die müssen existieren. Ich denke, dass derzeit keiner diese Dokumente freiwillig bereitstellt, sodass jede Einrichtung jetzt ihre eigene Standard Operating Procedure – SOP – aufbauen muss. Das ist nicht sinnvoll. Wir seitens der DGHO werden darüber ernsthaft diskutieren, wie man einheitliche Dokumente erstellen und auch verbindlich machen kann. Wenn der Gesetzgeber sich diesbezüglich nicht klar äußert, bleibt es ja jedem freigestellt, und dann ist die einheitliche Dokumentationsqualität nicht sichergestellt.
Wir danken für das Gespräch!
Petra Ortner
* http://esmoopen.bmj.com/content/1/6/e000142
Quelle: Interview mit Prof. Dr. med Diana Lüftner, 2017
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