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Anamnese

Eine 35-jährige Mutter zweier Kinder wurde aufgrund einer Präsynkope und allgemeiner Schwäche verbunden mit Fieber und Cephalgien in unser Krankenhaus aufgenommen. 5 Tage zuvor war eine tiefe Beinvenenthrombose links diagnostiziert und mit niedermolekularem Heparin behandelt worden. Es bestand eine mäßige Dyspnoe – in einer am Aufnahmetag durchgeführten Computertomographie (CT) fand sich eine Lungenarterienembolie auf Subsegmentebene. Bei ansonsten unauffälligen technischen Befunden zeigte sich laborchemisch eine Leukozytose (30.000/µl), Anämie (11,9 g/dl) und eine deutliche Thrombopenie (15.000/µl) sowie eine ebenfalls erheblich erhöhte Laktatdehydrogenase (LDH: 734 U/l). Die plasmatische Gerinnung war deutlich alteriert (Quick: 63%, PTT: normal, D-Dimere: 8.047 ng/ml). Wie gehen Sie in den ersten Stunden weiter vor? Stimmen Sie auf der nächsten Seite ab!

TED-Frage 1

Diagnostik

Im manuellen Differentialblutbild fanden sich unreife blastäre Zellen mit einem z.T. bilobulierten Kern, was zusammen mit der Koagulopathie sowie der klinischen Thromboseneigung zur Verdachtsdiagnose einer AML M3v (Variante) führte – welche in einer FISH-Analytik (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) mit einem positiven t(15;17)-Nachweis 48 Stunden später bestätigt werden konnte.Welche Therapie leiten Sie in den ersten 24 Stunden ein? Stimmen Sie auf der nächsten Seite ab!

TED-Frage 2

Therapie und weiterer Verlauf

In dieser eindeutigen Höchstrisikosituation (Leukozyten > 10.000/µl, laborchemische Koagulopathie, klinisch manifeste Thrombosen) erfolgte die Verlegung auf eine internistische Überwachungsstation, auf welcher die Patientin über die folgenden 9 Tage versorgt wurde. Die „Ausdifferenzierungstherapie“ mit ATRA mit dem primären Ziel einer Gerinnungsnormalisierung wurde ergänzt um eine zytoreduktive Therapie mit Hydroxyurea 500 mg 4 – 0 – 4 bei bestehender deutlicher Leukozytose. Trotz dieser zytoreduktiven Therapie kam es – vermutlich auch in Folge der beginnenden Ausdifferenzierung der akuten Promyelozytenleukämie(APL)-Zellen unter ATRA - zu einem Anstieg der Leukozytose bis auf 60.000/µl innerhalb von 3 Tagen. Es erfolgte daher eine Intensivierung der zytoreduktiven Therapie mit Idarubicin 12 mg/m² mit 4 Applikationen in den folgenden Tagen. Hierunter kam es zu einem adäquaten Rückgang der Leukozyten innerhalb von weiteren 3 Tagen.Erschwerend kamen in den ersten 3 Tagen ein verstärkter Kopfschmerz (bei zuvor bekannter Migräne) und eine neue brachial betonte Rechtseitenschwäche hinzu. In der cerebralen Bildgebung zeigten sich sowohl frische punktförmige kortikale Ischämieareale cerebellär bds. sowie in den Stammganglien links als auch ein (schmales) Subduralhämatom rechtshemisphäriell.Worauf muss in dieser Situation besonderes Augenmerk gelegt werden? Stimmen Sie auf der nächsten Seite ab!

TED-Frage 3

Weitere Therapie

Trotz der thrombembolischen Manifestationen war in dieser Phase die Sorge am größten vor einer weiteren (und schwereren) intrakraniellen Blutung. Die Thrombozyten konnten nur mit größerem Aufwand bei knapp 30.000/µl gehalten werden – das Fibrinogen konnte erst nach 5 Tagen in den niedrig normalen Bereich gebracht werden – eine Antikoagulation verbot sich in dieser Situation. Unter der entsprechenden Substitution und insbesondere unter der konsequent weitergeführten Therapie mit ATRA normalisierte sich die Gerinnung innerhalb von 5 Tagen – in einem Zeitraum also, in dem die Leukozytenzahl zwar fallend, aber noch deutlich erhöht war. D.h. die Gerinnungsnormalisierung durch ATRA als Ausdruck einer Normalisierung der pathologischen Genexpression (Tissue Factor etc.) war relativ unabhängig vom Vorhandensein einer noch substantiellen zirkulierenden Leukämielast. Im Rahmen eines dann weniger komplikationsreichen weiteren Verlaufs erreichte die Patientin im peripheren Blut an Tag 26 CR(Komplettremissions)-Kriterien und konnte einige Tage später entlassen werden. Die Patientin wurde dann gemäß dem AIDA-Protokoll mit 3 Zyklen einer Chemotherapie jeweils in Kombination mit einer 15 tägigen ATRA-Therapie behandelt. Zum Ende des ersten Konsolidierungszyklus entwickelte die Patientin an Tag 14 der ATRA-Therapie deutliche Kopfschmerzen sowie Doppelbilder. Die cerebrale Bildgebung zeigte keine neuen Auffälligkeiten – das vorbekannte Subduralhämatom war deutlich rückläufig, die zu Beginn der Induktion dargestellten ischämischen Läsionen waren nicht mehr nachweisbar. Unter Pausieren von ATRA kam es zu einer schnellen Rückbildung der Symptome. Im zweiten Konsolidierungszyklus wiederholte sich die Symptomatik in leichterer Form trotz einer in der zweiten Therapiewoche mit ATRA um 50% reduzierten Dosis dieses Medikaments. Auch hier bildeten sich Doppelbilder sowie die Cephalgien innerhalb weniger Tage nach Pausieren von ATRA zurück.Was liegt diesem Effekt vermutlich zugrunde? Stimmen Sie auf der nächsten Seite ab!

TED-Frage 4

Zusammenfassende Erläuterungen

Es handelte sich bei dem klinischen Bild um einen Pseudotumor Cerebri (idiopathic intracranial hypertension). Bei diesem in seiner Pathogenese letztlich nicht geklärten Krankheitsbild kommt es durch eine intrakranielle Drucksteigerung zu Übelkeit/Erbrechen, Kopfschmerz und Doppelbildern (meist aufgrund einer Abduzensparese) sowie zu Stauungspapillen (bis zur Erblindung), ohne dass hierfür ein morphologisches Korrelat bestünde. Das Bild ist u.a. mit Vitamin-A-Hyper- wie auch Hypovitaminosen und damit insbesondere auch mit einer ATRA-Therapie vergesellschaftet. Die Inzidenz in der APL-Therapie wird sehr unterschiedlich angegeben (von 2% bis 19% der therapierten Patient:innen), wobei ein jüngeres Alter für den PC zu prädisponieren scheint. In der Kombination mit ATO (Arsentrioxid) scheint die Inzidenz nochmals höher zu sein – in einer Arbeit bei 5 von 10 mit der Kombination behandelten Patient:innen. Es ist also wichtig, diese Problematik differentialdiagnostisch im Blick zu haben, da sicherlich häufiger in einer solchen Situation primär an eine (erneute) cerebrale Blutung oder an eine Meningeosis leucaemica gedacht wird. Therapie ist im Wesentlichen das Pausieren des auslösenden Agens. Eine Herausforderung ist dann die Reexposition mit ATRA im weiteren Verlauf mit entsprechender Dosismodifizierung und enger klinischer Beobachtung.Insgesamt hat sich die Therapie der AML M3 (Promyelozytenleukämie) in den letzten Jahren stark verbessert, und die Kombination von ATRA und ATO hat den Standard der Behandlung revolutioniert.Lesen Sie dazu auch den Übersichtsartikel:Braess J. Akute Promyelozytenleukämie (AML M3) - Zwischen Katastrophe und Heilung, JOURNAL ONKOLOGIE 11/2021.Vielen Dank für Ihre Teilnahme an der interaktiven Kasuistik: Junge Mutter mit ZNS-Blutung und LungenarterienembolieWenn Sie selbst interessante Fälle haben, die Sie Ihren onkologischen Kolleg:innen präsentieren möchten, wenden Sie sich jederzeit an JOURNAL ONKOLOGIE unter redaktion@journalonko.de (Die Redaktion behält sich die Veröffentlichung vor.)

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