JOURNAL ONKOLOGIE – Artikel
23. Februar 2021 Seite 1/2
Thrombosemanagement bei gynäkologisch-onkologischen Patientinnen

Annette Hasenburg, Klinik und
Poliklinik für
Geburtshilfe und Frauengesundheit, Mainz

Dr. phil. nat.
Helmut Schinzel, Gerinnungspraxis am CardioCentrum, Mainz
Es wird geschätzt, dass 4-20% aller Krebspatienten im Krankheitsverlauf venöse Thromboembolien (VTE) entwickeln (1). Das relative VTE-Risiko von Krebspatienten ist im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung 4- bis 7-fach erhöht (2). Auch unter ambulant behandelten Krebspatienten hat eine US-Studie mit mehr als 2.000 Patienten eine VTE-Inzidenz von 12,6% ergeben (3). Das Mortalitätsrisiko bei Patienten mit tumor-assoziierter Thrombose (CAT, Cancer Associated Thrombosis) sei doppelt so hoch wie bei Patienten ohne Thrombose (4), erklärte Prof. Dr. Annette Hasenburg, Mainz. Unter ambulanter Chemotherapie sind VTE die zweithäufigste Todesursache von Tumorpatienten (5).
Frauen mit Ovarialkarzinomen gehören nach populationsbezogenen Erhebungen bei Krebspatienten in den USA mit zu den am stärksten VTE-gefährdeten Patientinnen. Bei Mammakarzinomen und uterinen Karzinomen besteht ein geringeres Risiko (6).
Manchmal tritt ein thromboembolisches Ereignis ein, bevor die Krebsdiagnose gestellt wurde: Hasenburg schilderte den Fall einer Frau, die bei der Rückfahrt aus dem Urlaub wegen Übelkeit und Erbrechen als Notfall in die Klinik gekommen war. Wegen des auffällig aufgetriebenen Abdomens war eine Computertomografie durchgeführt worden. Es stellte sich ein großer zystisch/solider Unterbauchtumor mit Peritonealkarzinose dar, der zusätzlich zu einer schweren zentralen Lungenembolie mit ausgeprägter Rechtsherzbelastung geführt hatte (Abb. 1).
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Individuelle Risikofaktoren erkennen
Der Frage, welche Faktoren das individuelle CAT-Risiko bei gynäkologisch-onkologischen Patientinnen bestimmen, gingen Nezi-Cahn und ihre Kollegen in einer retrospektiven Fall-Kontrollstudie der Universitätsmedizin Mainz mit insgesamt 152 Patientinnen mit Mamma-, Ovarial- und Zervixkarzinomen nach. Sie verglichen Patientinnen aus den Jahren 2006-2013, die unter Chemotherapie eine VTE entwickelt hatten, mit entsprechend erkrankten und „gematchten“ Frauen ohne VTE. Dabei fiel auf, dass sich bei VTE-Patientinnen im Vergleich signifikant öfter bereits vor Beginn der Chemotherapie eine Leukozytose gezeigt hatte, signifikant häufiger ein Portsystem verwendet worden war und sie seltener eine medikamentöse VTE-Prophylaxe erhalten hatten. Als einziger unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Thrombose erwies sich in der multivariaten Regressionsanalyse eine Operation in den vorangegangenen 6 Monaten (7).Verschiedene Studien konnten zeigen, dass sowohl patientenbedingte Risikofaktoren wie hohes Alter, Immobilität und Übergewicht als auch tumor- und therapiebedingte Faktoren einen Einfluss auf die VTE-Entstehung haben (Tab. 1). Wichtig ist es zu beachten, dass auch die Art der Behandlung das Gerinnungsgeschehen maßgeblich beeinflusst und daher bei der medikamentösen VTE-Prophylaxe berücksichtigt werden sollte.
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Therapiebedingte Einflüsse auf Gerinnung
In einer Cochrane-Metaanalyse war das VTE-Risiko bei Ovarialkarzinom-Patientinnen mit einer neoadjuvanten Chemotherapie und von Patientinnen nach primärer Debulking-Operation verglichen worden. Unter der Debulking-Operation erlitten 32 von 1.000 Patientinnen eine VTE, unter neoadjuvanter Chemotherapie waren es dagegen nur 9 von 1.000 Patientinnen (10). In einer weiteren Analyse war eine von 7 Frauen mit Ovarialkarzinom von einer VTE betroffen (11). Dies zeigt, dass gerade nach einer operativen Therapie das Management zur Thromboseprophylaxe wichtig ist und in den ERAS (Early Recovery After Surgery)-Konzepten konsequent umgesetzt werden sollte, sagte Hasenburg.In diesem Zusammenhang wies die Gynäkologin auf eine Studie hin, die ergeben hatte, dass die systematische Lymphonodektomie im Rahmen einer optimalen chirurgischen Tumorresektion bei fortgeschrittenem Ovarialkarzinom ohne makroskopisch sichtbaren Lymphknotenbefall keine prognostischen Vorteile nachweisen konnte, wohl aber mit einer deutlich erhöhten Inzidenz postoperativer Komplikationen wie Thrombosen einherging (12).
In Bezug auf systemische Therapien sind v.a. Platin-haltige Chemotherapien und antiangiogen wirksame Strategien mit einem klinisch relevanten VTE-Risiko behaftet (13). Auch die positiven Ergebnisse mit neuen Medikamenten wie den PARP (Poly-ADP-Ribose Polymerase)-Inhibitoren werden mit Nebenwirkungen wie Übelkeit, Fatigue-Syndrom oder Thrombozytopenien erkauft, denen mit Blick auf die Gefäßgesundheit therapeutisch differenziert begegnet werden sollte, betonte Hasenburg. Zudem muss inzwischen auch bei Tumorpatientinnen mit SARS-CoV-2-Infektionen gerechnet werden, die das VTE-Risiko zusätzlich erhöhen: Bei hospitalisierten COVID-19-Patienten wurde eine VTE-Inzidenz von etwa 20% ermittelt, sogar unter Antikoagulation traten lebensbedrohliche VTE auf (14).
Andererseits ist bei Tumorpatienten das hohe Blutungsrisiko zu berücksichtigen. Dies ist selbst bei gut eingestellter Antikoagulation der Fall, v.a. auch vor dem Hintergrund, dass Tumorpatienten verabreichte Medikamente die Wirksamkeit und das Blutungsrisiko insbesondere oraler Antikoagulanzien beeinflussen können (15).
Systematische Risikoeinschätzung von Tumorpatientinnen
Um im Einzelfall das individuelle Thromboserisiko einschätzen zu können, sind verschiedene Scores entwickelt worden. Als am besten validiert gilt der Khorana-Score, in den die Tumorentität sowie weitere Faktoren wie die Thrombozyten- und Leukozytenzahl vor der Chemotherapie, der Hämoglobinwert und der Body Mass Index (BMI) einfließen (2). Bei 1-2 Punkten wird das VTE-Risiko als intermediär angesehen, bei ≥ 3 Punkten als hoch. Jedoch können diese Werte nur als Orientierung dienen: In einer Studie hatten lediglich 23% aller Thrombosepatienten einen Khorana-Score ≥ 3, mehr als die Hälfte der VTE traten bei 1-2 Punkten auf (16).* In JOURNAL ONKOLOGIE wird aufgrund sprachlicher Vereinfachung entweder die weibliche oder männliche Form bzw. das generische Maskulinum verwendet.
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